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Die Flut, die alle Boote hebt, wird es erst mal nicht geben-Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

Vor einigen Wochen habe ich hier geschrieben, dass wir auf eine schnelle Rezession hoffen sollten, damit die Geldpolitik der US-Notenbank, die derzeit den stärksten Gegenwind für die Aktien darstellt, wieder schnell gelockert wird. Die Rezession haben wir.
 
Entgegen den Prognosen der meisten Volkswirte ist die US-Wirtschaft auch im zweiten Quartal geschrumpft, und da dies schon im ersten Quartal so war, sprechen wir in den USA jetzt von einer technischen Rezession. Anzeichen der US- Notenbank hierauf zu reagieren, gibt es bisher aber nicht, denn sie hat auch keinen Grund dazu.
 
Erstmalig sinken in einer Rezession die Arbeitslosenzahlen
Die Federal Reserve kann diese Rezession gelassen ignorieren. Rezessionen zu bekämpfen, ist kein Selbstzweck. Damit bezweckt man eigentlich immer nur eines: Arbeitslosigkeit zu verhindern.
 
Diese trifft jeden einzelnen, der davon betroffen. Aber sie gefährdet ab einem gewissen Maß auch den sozialen Frieden. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist während dieser Rezession im ersten Halbjahr dieses Jahres aber nicht gestiegen, sondern sogar gefallen. Das hat es noch nie gegeben. Und der Arbeitsmarkt boomt weiter. Noch immer suchen US-Unternehmen händeringend Personal.
 
Damit ist aber auch klar, dass die schnelle Wende in der Geldpolitik nicht zu erwarten ist. Ein Umsteuern von Inflations- auf Rezessionsbekämpfung wird es nicht geben. Das sind keine guten Aussichten für die Aktienmärkte, zumal die FED jetzt ab September im Volumen von 95 Milliarden US-Dollar Wertpapiere aus ihrer Bilanz verkaufen wird.
 
Ihre Käufe haben den Aktienmarkt 2020 und 2021 extrem nach oben getrieben, die Verkäufe können nur das Gegenteil bewirken. Einziger Lichtblick: Die Märkte haben sich bereits auf das Schlimmste eingestellt. Dennoch ist dies in den Kursen noch nicht enthalten, denn diese Wertpapierverkäufe finden real statt und entziehen Liquidität in dem Moment, wo sie passieren und nicht schon vorher.
 
Hoffnung auf schnelle Unternehmenspleiten
Warum reite ich so sehr auf dem Thema Liquidität herum? Ganz einfach: Für die kurz- bis mittelfristige Tendenz ist sie viel wichtiger als die Fundamentaldaten der Wirtschaft und der Unternehmen.
 
Einen neuen Börsenaufschwung mit Rekordkursen wird es nur geben, wenn sich die Geldpolitik geändert hat. Dies könnte natürlich auch passieren, weil die Inflation ohnehin herunterkommt. Damit ist auch zu rechnen.
 
In den USA dürfte sie ihren Höhepunkt bereits überschritten haben. In Europa kommt der Höhepunkt wegen der extrem gestiegenen Gaspreise wahrscheinlich noch. Diese werden ja zeitverzögert erst in den Verbraucherpreisen sichtbar. Spätestens im nächsten Jahr dürften sich dann aber auch hier Basiseffekte einstellen. Aber auf zwei Prozent wird die Inflation so schnell wahrscheinlich nicht zurückkommen. Und solange dies nicht der Fall ist, dürfte mit einer Lockerung der Geldpolitik nicht zu rechnen sein. Nur eine weitere Verschärfung wird es dann wahrscheinlich nicht geben. Damit bleibt nach wie vor nur ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit als Vorbedingung für eine wieder lockerere Geldpolitik.
 
Es klingt schon verrückt, aber die in den letzten Jahren extrem gestiegenen Unternehmensschulden sind es, die etwas Hoffnung machen. So wie die gestiegenen Zinsen den Immobilienmarkt in den USA 2007 zum Einsturz brachten, könnten die ganzen Zombie-Unternehmen, die bei den Niedrigzinsen ihren Zinsdienst schon nicht mehr aus den Erträgen erwirtschaften konnten, womöglich ganz schnell umfallen und mit Ihnen die kreditgebenden Banken in Not geraten.
 
Würde sich hier eine Kettenreaktion abzeichnen, die dann plötzlich ein Umschwung in eine schwere Rezession bedeuten könnte, dürfte die US-Notenbank umsteuern. Hoffen wir also auf die Zinssensitivität der US- und der Weltwirtschaft allgemein.

 

 

Kutzers Zwischenruf: Wirtschaft und Inflation – Noch keine Entwarnung

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Neue Wirtschaftsdaten, die erfahrungsgemäß auch Einfluss auf die Börsenkurse haben, zeichnen noch kein klares Bild. Saisonale und Sondereinflüsse spielen neben den Kriegsfolgen eine Rolle. Außerdem haben sie an manchen Tagen unterschiedliche Vorzeichen. Dabei ist darauf zu achten, was für Deutschland, was für die Eurozone und was für einzelne Branchen gilt. Versucht man die Indikatoren auf einen Nenner zu bringen, dass passt „uneinheitlich“ wohl am besten. Das spiegeln auch die Aktienkurse wider.

Die Wirtschaftsstimmung in der Eurozone hat sich im August stärker als erwartet eingetrübt. Der Economic Sentiment Indicator (ESI) fiel im Vergleich zum Vormonat um 1,3 Punkte auf 97,6 Punkte, wie die Europäische Kommission am Dienstag mitteilte. Analysten hatten im Schnitt einen Rückgang auf 98,0 Punkte erwartet. Der Indikator sank auf den niedrigsten Stand seit Februar 2021 und liegt weiter unter seinem langfristigen Durchschnitt. Es ist der dritte Rückgang in Folge. In den Industrie- und Dienstleistungsbetrieben der Eurozone trübte sich die Stimmung erneut merklich ein. Das Verbrauchervertrauen verbesserte sich hingegen. Auch die Stimmung im Einzelhandel und in der Bauwirtschaft hellte sich ein wenig auf.

Und die Inflation? Im Juli lagen die Verbraucherpreise hierzulande um 7,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Im Juni hatte die Jahresteuerungsrate 7,6 Prozent betragen, im Mai waren es sogar 7,9 Prozent Keine Überraschung, dass die Teuerung nach der (leichten) sommerlichen Abkühlung wieder steigt und dabei laut vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts im August wieder bei 7,9 Prozent geklettert ist. Energie ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs der Hauptpreistreiber. Daneben leiden die Bundesbürger auch unter einem zweistelligen Anstieg der Lebensmittelpreise. Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass die Inflationsrate noch im Laufe des Herbstes weiter in historische Höhen steigen und dabei mehr als fatale 10 Prozent erreichen dürfte.

Sicher können Sie aber nur sein, geschätzte Anleger, dass in den kommenden Wochen die Diskussionen über fiskalische Maßnahmen und Versäumnisse der Ampel-Koalition ebenso weiter anhalten werden wie die Kontroversen in der Fachwelt über die nächsten geldpolitischen Schritte der EZB, die ja ähnlich wie die amerikanische an Fed an der Stabilisierung des Geldwerts festhalten will. Auf beiden Seiten des Atlantiks werden unverändert Verbraucherpreisindizes in der Größenordnung von + 2 Prozent angepeilt.

Zur Erinnerung: Im August 2021 lag die Inflation hierzulande noch bei (relativ erträglichen) 3,9 Prozent, unmittelbar vor Kriegsbeginn Anfang dieses Jahres noch bei 4,9 Prozent. Die monatliche Steigerung von 7,9 Prozent ist ein Spitzenwert in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte – noch.

Kostolany hatte Recht! – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gemeinhin gilt an den Börsen die Regel, dass nur ein Aufschwung, der von hohen Umsätzen begleitet ist, auf sicherem Fundament steht. Diese Theorie kommt aus der Ecke der Charttechniker, die zu der allgemeinen Bewegung eben auch die Umsätze mitverfolgen. Steigt eine Aktie also mit hohen Umsätzen, wird dies als Trendbestätigung gesehen und deutet gemäß dieser Theorie auf eine Fortsetzung des Aufwärtstrends hin.

Die Theorie der Hartgesottenen und Zittrigen

Börsenaltmeister André Kostolany sah dies ganz anders. Er hielt Börsenaufschwünge mit geringen Umsätzen für viel gesünder als umgekehrt. Dies leitete sich für ihn aus seiner Theorie der Hartgesottenen und Zittrigen ab. Die beiden Anlegergruppen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass die einen sich vom Trend mitreißen lassen, während die anderen antizyklisch handeln und kaufen, wenn die Kurse stark gefallen sind. Der Beginn eines Aufschwungs ist demgemäß der, in dem die Hartgesotten die Aktien von den Zittrigen kaufen, die in Panik aufgrund fallender Kurse an sie verkaufen. Sind die Kurse dann wieder eine Zeit lang gestiegen, üben sie wieder Anziehungskraft auf die Zittrigen aus, die den Anstieg als Beleg für die zukünftige Entwicklung sehen. Nach bereits starken Kursgewinnen kommen immer mehr Zittrige wieder zurück in den Markt und kaufen den Hartgesottenen, die unten eingestiegen sind, die Aktien teuer ab. Befinden sich die Papiere dann mehrheitlich wieder in den Händen der Zittrigen, ist die Gefahr groß, dass bei negativen Nachrichten diese die Aktien nervös aus den Depots schmeißen. Denn sie haben keine echten Überzeugungen, sondern sind letztlich nur eingestiegen, um nichts zu verpassen. Der so losgetretene Abschwung zieht dann weitere Verkäufe von Zittrigen nach sich, bis die Kurse in einer regelrechten Panik wieder abstürzen, wo dann die Hartgesotten sie wieder einsammeln. Das war für „Kosto“ der ewige Zyklus der Börse. Und demgemäß sah er steigende Kurse begleitet von geringen Umsätzen sehr viel lieber als von hohen Umsätzen begleitete. Denn sind die Umsätze gering, wechseln demgemäß weniger Aktien aus den Händen der Hartgesotten in die Hände der Zittrigen. Beim Abschwung ist es genau umgekehrt. Da ist es dann gut, wenn die Umsätze vor allem in der letzten Phase der Abwärtsbewegung enorm hoch sind, weil die Aktien dann in großer Anzahl von den Zittrigen wieder in die Hände der Hartgesotten wandern. Und diese haben Überzeugungen und verkaufen nicht, auch wenn die Nachrichtenlage mal schwierig ist.

Studie von HQ Trust bestätigt Kostolany

Nun hat eine Studie des Vermögensverwalters HQ Trust hervorgebracht, dass steigende Aktien mit steigenden Umsätzen keineswegs bedeuten, dass der Trend sich fortsetzt. Analyst Pascal Kielkopf hat dafür das Verhalten der aktuell 627 Aktien des Index MSCI USA im Zeitraum von Oktober 1998 bis Mai 2022 untersucht. Das Ergebnis: Bei einem hohen Handelsvolumen einer Aktie ist ihre Rendite im Mittel nicht nur im laufenden Monat stark unterdurchschnittlich, sondern auch im nächsten. Eine für jeden sichtbare Bestätigung lieferten auch die so genannten Meme-Aktien wie GameStop oder die Kinokette AMC. Diese stiegen im vergangenen Jahr bei enormen Umsätzen, teilweise wurde am Tag mehr gehandelt als die gesamte Marktkapitalisierung der Unternehmen. Die Aktien erlebten zwar einen starken Aufschwung dann aber auch wieder einen starken Zusammenbruch. Auch die Gegenprobe bestätigt übrigens die Untersuchung. Aktien mit niedrigem Handelsvolumen werfen in den folgenden Monaten eine höhere Rendite ab. Es lohnt sich also nicht, in Aktien einzusteigen, die steigen, weil dies von hohen Umsätzen begleitet ist.

Noch mal zurück zu Kostolany. Wo liegen die Aktien derzeit wohl? Bei den Hartgesotten oder den Zittrigen? Ich würde sagen, sie sind im Kursabschwung im ersten Halbjahr 2022 überwiegend in den Händen der Hartgesotten gelandet. Denn trotz des schwierigen fundamentalen Umfeldes aus Inflation, Rezession, Energiekrise und Krieg halten sie sich eigentlich ziemlich stabil.

 

 

Kutzers Zwischenruf: Werterhalt ist jetzt wichtiger als Wertsteigerung

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Auch wenn es nicht direkt in der Kursentwicklung zum Ausdruck kommt – die Unsicherheit in Wirtschaft und Börsen nimmt weiter zu. Gründe gibt’s genug. Jeden Tag: Ukraine und Taiwan, Energiekrise und Inflation, Rezessionssignale und Notenbankbedenken etc.

Mir ist das Wort „Unsicherheit“ zu schwach. Doch beim Nachschlagen nach Synonymen und ihren Bedeutungen trifft man auf eine ungewöhnliche Vielzahl, die verdeutlicht, dass überzeugende, konkrete Prognosen derzeit kaum möglich sind. Hier eine Auswahl: Gefahr, Angst, Risiko, Bedrohung, Zweifel, Problematik, Schwäche, Vorsicht, Skepsis, Verwirrung, Hemmung, Unberechenbarkeit. Fällt Ihnen etwas auf, geschätzte Anleger? Alle diese Begriffe können auf das angewandt werden, was die Märkte heute bewegt – und morgen vermutlich weiter bewegen wird.

Nehmen wir den stark beachteten Ifo-Geschäftsklimaindex: Der ist diesmal nur minimal gesunken, Aber erläuternd schreiben die Münchner Forscher: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist schlecht. Die Unternehmen waren etwas weniger zufrieden mit den laufenden Geschäften. Der Ausblick auf die kommenden Monate blieb nahezu unverändert deutlich pessimistisch. Die Unsicherheit unter den Unternehmen bleibt hoch. Die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal schrumpfen.

Kein Wunder, dass nach dieser Schilderung die Sorgen der Marktteilnehmer nicht verfliegen. Die meisten Volkswirte betrachten die gegenwärtige Phase schon als Rezession, andere gehen von dem bevorstehenden Beginn der wirtschaftlichen Schrumpfung aus. Unterschiedlich werden die Perspektiven für die Inflation beurteilt: Teilweise sieht man den Gipfel erst im zweistelligen Bereich, manche Experten stellen jedoch heraus, dass noch in diesem Jahr die Teuerung langsam sinken könne. So oder so – sie wird noch lange (zu lange) höher als die Zinsen bleiben. Alle blicken jetzt nach Wyoming, denn auf dem internationalen Notenbanken-Treffen in Jackson Hole sollte es mehr Klarheit zumindest über den weiteren Kurs der Fed geben.

Auch wenn es keine besondere Erkenntnis ist – wenn nicht traden oder sich im Stockpicking üben will, sollte lieber zweimal nachdenken, ob er in diesen Tagen unbedingt neue Aktienengagements eingehen muss. Der Vermögenserhalt ist jetzt doch wichtiger als eine kurz- bis mittelfristige Spekulation auf Wertsteigerung. Während ganz langfristige Aktien- und Investmentsparpläne (= Vorsorgesparen) einfach weiterlaufen können, sollten andere Depots überprüft werden, wo noch Maßnahmen zur Risikoabsicherung getroffen werden können. Also „Sicherheit“ statt „Unsicherheit“ – soweit das möglich ist.

Kutzers Zwischenruf: Der Nebel wird sich so schnell nicht verziehen

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Hallo Leute! Glaubt ja nicht, die Börsenprofis wüssten (auch nur einigermaßen) genau wie’s weitergeht. Momentan sowieso nicht. Denn es gibt einfach zu viele Fragezeichen. Deshalb sollten kurz- und mittelfristige Anleger nicht nach einem klaren Trend suchen – den gibt’s noch nicht, weder kursmäßig noch stimmungstechnisch. Schon ein oberflächlicher Rückblick auf den bisherigen Jahresverlauf zeigt, wie uneinheitlich die Aktienmärkte sind. Den Uralt-Börsenspruch „Geht Butter, geht Käse“ (= alles geht, Metapher für einen Trend) kennen junge Akteure gar nicht mehr. Ausreißer aus dem Kursbild insgesamt, die vor Jahrzehnten als „Sonderbewegungen“ innerhalb eines Trends bezeichnet wurden, sind längst auf der Tagesordnung. Mein Bauchgefühl signalisiert weder Hoffnung auf eine nachhaltige Hausse von Dax & Co. noch Angst vor einem drohenden Crash. Prominente Anlagestrategen ticken ähnlich und formulieren ihre Marktbetrachtungen betont vorsichtig. Manchmal muss man deren Aussagen mindestens zweimal lesen, um die konkrete Meinung zu verstehen.

Die Kombination aus geopolitischen Spannungen, einer anhaltend hohen Inflation, schnell nachlassender Wirtschaftsdynamik und in die Enge getriebener Zentralbanken, die deutlich „hinter die Kurve“ gefallen sind, bieten ein „herausforderndes Umfeld“ für Anleger, heißt es in der Wochenanalyse von Allianz Global Investors (AllianzGI). Herausfordernd heißt schwierig, nix für Ängstliche. Und der Vordenker Hans-Jörg Naumer (den ich besonders schätze) ergänzt: „Aus fundamentaler Sicht legt dies nach wie vor eine insgesamt vorsichtige Haltung gegenüber riskanten Anlagen nahe.“ Enttäuschungen wegen zwischenzeitlich aufgeflammter Hoffnungen, die Fed könne doch etwas weniger restriktiv verfahren als angenommen, sind da ebenfalls nicht auszuschließen. Die Staatsanleihenmärkte bewegen sich zwischen den Antipoden erhöhter Inflations- und nun steigender Rezessionsrisiken. Kein einfaches Navigieren!

Auch der globale Investmentmanager Federated Hermes (Pittsburgh) denkt ähnlich: Es ist noch zu früh, um mit Zuversicht zu behaupten, dass die Inflation unter Kontrolle ist. Denn in der Tat gibt es nach wie vor Engpässe in den Lieferketten, und Russlands Krieg in der Ukraine entzieht sich eindeutig der Kontrolle der Zentralbanken. Aber es gibt erste Anzeichen dafür, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben könnte. Angesichts der sinkenden Rohstoffpreise richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Wohnkosten und die Lohnsteigerungen, um die neue Normalität der Inflation zu ermitteln: Die Zeiten, in denen die Zentralbanken um ein Inflationsziel von 2 Prozent kämpften, scheinen nun weit entfernt zu sein. Und die Inflation könnte sich auf einem Niveau einpendeln, das zu Beginn des Jahres kaum vorstellbar war. Diese Entwicklung wirft einen schweren Schatten auf die Aktienmärkte, trotz der jüngsten Anzeichen dafür, dass sich das Tempo der Zinserhöhungen in den USA verlangsamen wird. Wörtlich schreiben die Portfolio Manager: „Wir sind nach wie vor optimistisch, dass sich die derzeitige Rally zu einem längerfristigen Bullenmarkt entwickeln wird. Wir sind uns aber bewusst, dass die geopolitischen Risiken nach wie vor hoch sind und es zu früh ist, die Möglichkeit einer Bärenmarkt-Rally auszuschließen. Die Risikobereitschaft der Anleger ist nach wie vor unbeständig.“

Auch beim Helaba-Research herrscht ein eher zuversichtlicher Grundton: Angesichts des Rückgangs beim ZEW-Index dürften die Marktteilnehmer zwar auf schwache Werte vorbereitet sein. Kurzfristiger Rückenwind für Aktien ist jedoch nicht zu erwarten. Allerdings spricht das niedrige Niveau der Frühindikatoren dafür, dass der Wachstumspessimismus bald seinen Höhepunkt erreicht. Aktien nehmen eine Konjunkturerholung rund ein halbes Jahr vorweg. Kurzfristig kann es in dieser Gemengelage zwar noch zu Kursrücksetzern kommen. Diese würden allerdings mittelfristig orientierten Anlegern aufgrund der moderaten Bewertung deutscher und europäischer Titel die Gelegenheit zum Einstieg bieten.
Seid geduldig und handelt selektiv, meine Freunde. Kurzfristig möchte ich hinzufügen, dass auch die neue Woche keine klaren Trendsignale verspricht.

Kutzers Zwischenruf: Weltmärkte auf unterschiedlichen Wegen

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Was sich seit Monaten abzeichnet, ist inzwischen immer deutlicher zu erkennen: Börsen und Anlageklassen gehen nicht mehr in die gleiche Richtung. Selbst innerhalb von Ländern, Themen und Branchen differenzieren die Investoren stärker auf der Basis von aktuellen Fundamentaldaten und Prognosen zur Geschäftsentwicklung. Das schließt eine zeitweise parallele Richtung von Kurstendenzen (= hohe Korrelation) nicht aus. Trotzdem, ein aktives Vermögensmanagement wird immer wichtiger – nicht einfach Amerika kaufen, sondern gezielt Qualitätsaktien der Wall Street mit konkreter Fantasie suchen.

Beispiel Länder-Allokation: Chinas Wirtschaftsaussichten sind unsicher, Japans Wirtschaft wächst solide, Schweden droht Rezession – der Deutsche-Bank-Chefstratege beschreibt so drei unterschiedliche Szenarien. Parallel hält die Diskussion über den Zustand der US-Wirtschaft an. Erreicht mich vorhin dazu eine Analyse, die auf einzelne Entwicklungen eingeht. Denn unabhängig vom Ausgang der Debatte darüber, ob sich die USA in einer Rezession befinden oder nicht: Die Kreditausfälle haben zuletzt zugenommen. Am wenigsten betroffen von Zahlungsausfällen bei Kraftfahrzeugen und Kreditkarten. Ansonsten kam es überall zu einem sprunghaften Anstieg. Wie das Zentrum für mikroökonomische Daten der New Yorker Federal Reserve mitteilte, eröffneten die US-Amerikaner im Zeitraum von April bis Juni dieses Jahres 233 Millionen neue Kreditkartenkonten – so viele wie seit 2008 nicht mehr. Im selben Zeitraum stiegen die Kreditkartenschulden im Jahresvergleich um 13 Prozent. Dies markiert den höchsten Quartalsanstieg seit 20 Jahren.

Und bei uns? Vom neuen ZEW-Konjunkturindikator hatte die Börse nichts Spektakuläres erwartet. „Erwartungen nahezu unverändert“, meldeten die Mannheimer Forscher. Denn es gab nur geringfügige Veränderungen verglichen mit den Juli-Zahlen. Lageeinschätzung und Erwartungen für die nächsten sechs Monate bleiben damit ungefähr auf dem niedrigen Niveau des Vormonats. Die ZEW-Konjunkturerwartungen verschlechtern sich im August noch einmal leicht, nach einem sehr starken Rückgang im Vormonat. Die Finanzmarktexperten erwarten somit für Deutschland eine weitere Verschlechterung der ohnehin schwachen Konjunktursituation. Die nach wie vor hohe Zunahme der Konsumentenpreise und die erwarteten zusätzlichen Kosten für Heizung und Strom belasten derzeit vor allem die Aussichten für die konsumnahen Wirtschaftsbereiche. Die Einschätzungen für die Finanzbranche verbessern sich aufgrund der erwarteten festeren Geldpolitik“, kommentiert ZEW-Wissenschaftler Michael Schröder.

Man kann das aber auch anders interpretieren. So schreiben Frankfurter Banker spontan: Die Stimmung unter den deutschen Finanzmarktexperten mit Blick auf die kommenden sechs Monate hat sich laut ZEW-Index „erneut verschlechtert“. Das ist keine Überraschung, denn die deutsche Wirtschaft ist derzeit mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert: Schlecht funktionierende Lieferketten, eine Rekord-Inflation sowie die Unsicherheit rund um den Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Energiekrise. Hinzu kommen nun noch Trockenheit und Niedrigwasser auf den für die Wirtschaft wichtigen Flüssen. Die Sorgen wachsen deshalb und es wird zunehmend wahrscheinlicher, dass die deutsche Volkswirtschaft in den kommenden Quartalen in eine rezessive Phase abgleitet.

Bärenmarkt-Rallye oder neuer Bullenmarkt? – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Die Erholung der Aktienkurse vor allem auch von US-Technologieunternehmen hat mittlerweile ein ganz beachtliches Ausmaß erreicht. Seit den Tiefstkursen ging es zum Beispiel an der Nasdaq rund 20 Prozent nach oben. Beim S&P 500 sind es rund 15 Prozent, beim DAX immerhin zehn Prozent. So stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich hierbei immer noch um eine Bärenmarkt-Rallye handelt oder wir uns bereits wieder in einem neuen Bullenmarkt befinden?

 
Geldpolitik ist der Scharfrichter
Die Frage ist derzeit schwer zu beantworten. Es hängt letztlich von der Geldpolitik ab. Und diese hängt derzeit sehr stark von der weiteren Inflationsentwicklung ab. Ob die Rallye jetzt noch weitergeht oder nicht, dafür kommt es aber auch auf die technische Verfassung an, was bei mir das Sentiment bedeutet. Für die mittelfristige Tendenz ist jedoch entscheidend, ob neue Liquidität in die Märkte kommt. Diese Logik haben die Märkte auch bereits verinnerlicht. So sprangen die Aktienkurse nur so nach oben, als am Mittwoch die US-Inflation statt erwarteter 8,7 Prozent mit nur 8,5 Prozent gegenüber Vorjahr vermeldet wurde. Außerdem ist die Entwicklung der Wirtschaft wichtig. Da ist die USA zwar bereits technisch betrachtet in einer Rezession, weil die ersten beiden Quartale eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts gezeigt haben, der Arbeitsmarkt brummt aber noch immer erheblich. Es ist schon wahrscheinlich, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt überschritten hat. Die Energiepreise sind zuletzt stark zurückgekommen, was der stärkste Treiber in den Monaten davor war. Allerdings ist es schwer vorauszusagen, wie sich die Preise weiterentwickeln. Man muss auf Sicht fahren, was die Geldpolitik betrifft. Solange die US-Notenbank Staatsanleihen aus ihrer Bilanz verkauft, was sie ab September im Volumen von 95 Milliarden US-Dollar pro Monat tun wird, sehe ich keinen neuen Bullenmarkt oder etwaige neue Höchstkurse.
 
Stimmung immer noch sehr verhalten
Einfacher als zu prognostizieren, ob wir uns in einer Bärenmarkt-Rallye oder einem neuen Bullenmarkt befinden, ist derzeit, ob die Rallye – was für eine auch immer sie ist – nun weitergeht oder bald ihr Ende findet. Hier hilft eben das Sentiment weiter. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass sich die Stimmung durch die markante Kurserholung etwas aufgehellt hat, sie aber nach wie vor äußerst verhalten ist.
 
Viele Anleger, auch solche, die an Benchmarks gemessen werden, dürften unterinvestiert sein. Daher ist eine Fortsetzung der Rallye eher wahrscheinlich. Es könnte sich sogar noch ein großer Short-Squeeze vollziehen, dann nämlich, wenn diese Anleger und auch solche, die auf fallende Kurse setzen, unter dem Druck der steigenden Kurse kaufen müssen. Kurzfristig kann der Markt dann Niveaus erreichen, die vor dem aktuell fundamentalen Hintergrund schon wieder als übertrieben erscheinen. An dieser Stelle würde die Rallye ohne geldpolitische Unterstützung dann aber wohl zum Halten kommen.

 

 

Viele Geschäftsideen gehen auf, viele Börsenwetten nicht – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 
Ab Mitte der 1990er setzte sich das Internet langsam als Massenmedium durch. Die älteren unter den Lesern werden sich noch an die sehr populäre Kampagne erinnern, in der Boris Becker den kurzen Satz sagte: „Ich bin drin!“ Damals allerdings in einem ganz anderen Sinne gemeint als heute, wo der einstige Tennisstar in einem Londoner Gefängnis einsitzt. Er meinte damit, er sei im Internet und bewarb den entsprechenden Zugang von AOL. Zugleich entwickelte man den Mobilfunk mit dem UMTS-Standard so weiter, dass man zukünftig auch Daten größerer Menge würde mobil übertragen können und Handys nicht nur zum Telefonieren, sondern auch zum Surfen im Internet und zum Versenden von E-Mails würde nutzen können. Auch die Medienlandschaft sollte sich – so die damalige Vision – grundlegend verändern. „TMT“ lautete die Abkürzung für Technologie, Medien und Telekommunikation. Kurzum, man war überzeugt davon, dass das Internet die Welt grundlegend verändern würde. Nachrichten würde man nicht mehr aus der Zeitung, sondern aus dem Internet erfahren und einkaufen würde man zukünftig über Online-Händler und nicht mehr im Kaufhaus. Heute über 20 Jahre später, muss man sagen, dass die Visionäre voll und ganz recht behielten. Fraglos hat sich die Mediennutzung fundamental verändert, bestellen wir heute extrem viel online und das Smartphone, dass dann später kam und die Internetnutzung komfortabel auch auf kleinen mobilen Geräten erlaubte, hat diesbezüglich ebenso unser Leben grundlegend verändert.
 
Viele Unternehmen scheiterten
Wer die beschriebene Vision damals hatte, dem kann man durchaus gratulieren und sagen: richtig vorausgesagt. Doch viele, die hier richtig lagen, scheiterten dennoch an der Börse mit den entsprechenden Aktien. Denn natürlich wurde damals auch wild mit den sogenannten TMT-Aktien auf diese Vision spekuliert. In Deutschland wurde extra für Unternehmen dieser Branche ein neues Börsensegment namens „Neuer Markt“ geschaffen. Doch längst nicht alle Unternehmen waren am Ende erfolgreich. Manche hatten nicht die richtige Technologie, andere wurden vom jeweiligen Platzhirsch verdrängt. Und nicht nur das. Selbst die Unternehmen, die sich am Ende durchsetzten, erfüllten nicht die Erwartungen in Bezug auf die Umsatz- und Gewinnentwicklung in der Geschwindigkeit, die notwendig gewesen wäre, um die damaligen Bewertungen zu rechtfertigen. Und so mussten selbst die Überlebenden, zu denen heute auch einige der großen Tech-Riesen der USA gehören, zunächst empfindliche Kursverluste hinnehmen. Der „Neue Markt“ in Deutschland verschwand wieder, nachdem sein Index um 97 Prozent abgeschmiert war.
 
Geschichte wiederholt sich nicht, aber reimt sich
Was wir vor gut 20 Jahren erlebt haben, das spielte sich in Teilen auch in der Corona-Pandemie ab. So wie Internetversender wie Amazon damals hochgejubelt wurden, hätte die Menschheit im Grunde mehr oder minder von einem Tag auf den anderen den stationären Handel ignorieren und nur noch online einkaufen müssen. Dabei war die Annahme, dass E-Commerce dem stationären Handel Marktanteile abjagen würde, absolut richtig. Es dauerte nur eben doch etwas länger. So wuchs E-Commerce durchschnittlich um rund zehn Prozent pro Jahr, während der stationäre Einzelhandel mehr oder minder stagnierte. Aber da man von einem niedrigen Niveau kam, macht der stationäre Handel auch heute noch über 80 Prozent der Einzelhandelsumsätze aus. In der Corona-Pandemie hat sich die Geschichte von damals vielleicht nicht wiederholt, aber sie reimt sich auf die Geschichte von damals. Denn man ging davon aus, dass das E-Commerce-Geschäft einen Wachstumssprung von fünf bis zehn Jahren hinlegen würde, der Versandhandel also innerhalb der Pandemie so schnell wachsen würde, wie bisher in fünf bis zehn Jahren. Internetversender wie die deutsche Zalando, About You, Mister Spex oder der kanadische Onlineshop-Anbieter Shopify gingen nur so durch die Decke. Doch auch hier stellt sich Ernüchterung ein. Der Gründer von Shopify, Tobias Lüdke – ein Deutscher, der in Kanada lebt –, räumt offenherzig ein, dass die Wette auf den großen Wachstumssprung nicht aufgegangen ist. Shopify entlässt daher auch über 1.000 der rund 10.000 Mitarbeiter, die sie haben. Und dennoch, auch wenn der Onlinehandel in diesem Jahr unerwartet einen deutlichen Einbruch erlebt, liegen die Umsätze noch immer weit über dem Jahr 2019. Und ganz sicher wird es wahrscheinlich vor allem unter den älteren Leuten, die notgedrungen in der Pandemie erstmals online bestellten, solche geben, die dies weiterhin tun und sonst nicht getan hätten. Will heißen, auch diese Vision war nicht vollkommen falsch, sie tritt nur eben auch nicht so schnell ein, wie es notwendig wäre, um die Höchstkurse dieser Unternehmen im Jahr 2021 zu rechtfertigen.
 
Value schlägt Momentum
Es lässt sich festhalten, dass viele Geschäftsideen aufgehen, viele Börsenwetten aber eben nicht. Und das ist ja auch nur logisch. Als man das Internet als Nutzer das erste Mal erlebte, gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass es ein ständiger Begleiter im Leben werden würde. Aber wer mit der logischen und richtigen Vision Geld verdienen will, der muss eben auch erkennen, welche Unternehmen am Ende die Gewinner einer Branche sein werden und wie schnell die Vision aufgehen wird. Nur wer hier eine realistische Einschätzung hat, kann abschätzen, wie die Wachstumsraten in der Zukunft aussehen und sich dementsprechend die Gewinne entwickeln. Nur wer auch hier richtig liegt, zahlt dann nicht zu viel für Aktien. Aber das ist ein hartes Stück Arbeit und manchmal aufgrund von zu großen Unsicherheitsfaktoren kaum möglich. Und so setzen Anleger häufig lieber auf das Momentum und kaufen Aktien, die schon stark gestiegen sind, in der Hoffnung, dass sich ein Dümmerer findet, der einen noch höheren Preis bezahlt. Das eben ist dann das Gegenteil von Value-Investing. Kurzfristig können solche Anleger viel besser abschneiden. Wer auf Tesla in den letzten Jahren gewettet hat, gehörte zu diesen Gewinnern, langfristig ist eine solche Strategie aber nicht vielversprechend, denn irgendwann wird man derjenige sein, der keinen Dümmeren mehr findet.
 
Die Aktien mancher Internetversender sind in diesem Jahr jedoch so stark zurückgekommen, dass sie zumindest einen Blick aus der Perspektive des Value-Investors wert sind.

 

 

Die Notenbanker mit der Abrissbirne – Gastkommentar von Raimund Brichta Börsenreporter n-tv

 

Wer hat Angst vorm Corona-Crash? | Wahre Werte Depot

Gastkommentar von Raimund Brichta Börsenreporter n-tv

Das Finanzsystem steht vor dem Zusammenbruch. Diesmal sind es ausgerechnet die Notenbanken, die den Crash provozieren. Und die Medien spenden Applaus. Unglaublich, aber wahr.

Der Reihe nach: Schon oft habe ich beschrieben, warum unser Geldsystem wie ein baufälliges Haus ist, das einzustürzen droht. Deshalb haben die Notenbanken seit der Finanzkrise vor 14 Jahren massive Stützpfeiler eingezogen, die das Gebäude zusammenhalten. Sie bestehen aus riesigen Mengen an Zentralbankgeld, die seit 2008 in den Bilanzen der Notenbanken aufgetürmt wurden. Dort stehen sie nun wie imposante Säulen.

Nun aber rücken die Notenbanker selbst mit der Abrissbirne an, um die Säulen und damit das gesamte Gebäude zum Einsturz zu bringen. Nichts anderes steckt nämlich hinter ihren Ankündigungen, die aufgeblähten Bilanzen wieder drastisch schrumpfen zu lassen. Damit beschwören sie selbst eine Finanzkrise herauf, die sie eigentlich bekämpfen wollten.

Und viele Menschen applaudieren dazu. Denn nun gilt es nach vorherrschender Meinung, die Inflation zu bekämpfen. Jedes Mittel scheint da recht.

Was die meisten Menschen nicht verstehen: Unser Finanzsystem hält eine solche Bekämpfung nicht mehr aus. Anders war es Anfang der 80er-Jahre, als der legendäre US-Notenbankchef Paul Volcker die damalige Inflation erfolgreich in den Griff bekam. Seither sind 40 Jahre vergangen, und die Finanzwelt hat sich weiter gedreht. Volcker musste nur die Zinsen drastisch erhöhen und einen Wirtschaftsabschwung provozieren. Das war alles. Damals waren die Finanzmärkte noch nicht auf mächtige Geldsäulen in der Notenbankbilanz angewiesen.

Jetzt sind sie es aber. Sie sind sogar richtig abhängig davon. Denn immer wieder beginnt es an ganz unterschiedlichen Stellen im Finanzgebälk zu krachen. So wie neulich, als in Großbritannien wichtige Pensionsfonds ins Wanken gerieten. Dabei sollte man meinen, solche Fonds müssten mit ihrer langfristig ausgerichteten Anlagepolitik eher zu den stabilisierenden Faktoren gehören. Nun sind aber ausgerechnet sie zu einem Herd der Instabilität geworden. Und das hat folgendem Grund:

In den vergangenen Jahrzehnten wurde es für diese Fonds immer schwerer, ihren Pensionären die Renten bis weit in die Zukunft zu garantieren. Die jahrzehntelang fallenden Zinsen knabberten an den Erträgen und zwangen viele Fondsmanager, riskantere Geschäfte einzugehen, weil mit langweiligen Staatsanleihen nicht mehr viel zu verdienen war.

Da kamen ihre schlauen Investmentbeater auf folgende Idee: Wettet doch einfach auf fallenden Zinsen, dann kann euch nichts passieren. Denn wenn die Zinsen tatsächlich fallen, gewinnt ihr mit diesen Wetten das Geld, das euch auf der anderen Seite durch die niedrigeren Zinserträge verloren geht. Und wenn die Zinsen steigen sollten, ist es eben umgekehrt: Dann verliert ihr zwar mit den Wetten Geld, aber diese Verluste werden durch steigenden Zinserträge wieder wettgemacht. Klingt nach einer smarten Strategie, oder?

Solange die Zinsen jahrzehntelang fielen, war das auch kein Problem: Die Fonds strichen schöne Wettgewinne ein, die sie für fallende Zinserträge entschädigten. Aber dieses Jahr ist alles anders: Die Zinsen sind gestiegen, und die Pensionsfonds gerieten mit ihren Wetten ins Minus.

Allerdings konnten sie nicht in Ruhe abwarten, bis ihnen im Lauf der Zeit höhere Zinserträge einen Ausgleich bringen, sondern ihre Wettanbieter forderten als Sicherheit sofort Nachschusszahlungen, so genannte Margins, für die nun in Schieflage geratenen Wetten. Auch das ging noch eine Zeitlang gut, bis den Pensionsfonds langsam das Geld dafür ausging, im Fachjargon die Liquidität. Nun mussten sie sich also hastig Geld beschaffen und dafür Wertpapiere verkaufen, meist Staatsanleihen.

Dummerweise waren die Kurse dieser Staatsanleihen wegen der steigenden Zinsen gerade stark gefallen. Die Fonds waren also gezwungen, hohe Kursverluste zu realisieren, die sie normalwerweise gar nicht hätten realisieren müssen. Denn wenn sie die Anleihen bis zur Fälligkeit halten, bekommen sie dafür das ursprünglich gezahlte Geld zurück, auch wenn der Kurs zwischenzeitlich mal abgerutscht sein sollte.

Um das Ganze noch schlimmer zu machen, führen solche Notverkäufe dazu, dass die Kurse der Staatsanleihen weiter fallen und die Zinsen damit weiter steigen. Die vertrackte Lage verschärft sich. Denn die Zinswetten geraten damit noch mehr in die Verlustzone, was weitere Nachschüsse, weitere Anleiheverkäufe, weitere Kursverluste, und weiter steigende Zinsen zur Folge hat. Ein Teufelskreis.

Und jetzt kommt die Notenbank ins Spiel: Nervös gewordene Pensionsfonds-Aufsichtsräte sollen bei der Bank of England angerufen und diese aufgeschreckt haben. Daraufhin hielten die Notenbanker ihre Abrissbirne still, die sie eigentlich schon in Stellung gebracht hatten. Statt – wie angekündigt – selbst Staatsanleihen abzubauen und das Problem damit weiter zu verschärfen, kaufte die Notenbank sogar wieder Staatsanleihen. Die Märkte waren vorläufig beruhigt.

Aber die Krise ist damit nicht abgewendet. Denn das Grundproblem scheint die Bank of England noch nicht verstanden zu haben. Sie will – zumindest sagt sie das offiziell – ihre Abrissbirne in Stellung halten und nun einfach etwas später zum Einsatz bringen.

Die jüngsten Ereignisse auf der Insel sind nur ein Beispiel dafür, wie es generell um unser Finanzsystem bestellt ist. Wo der Stress genau zutage tritt, lässt sich im Vorhinein zwar nicht sagen. Aber dass er irgendwo zum Vorschein kommt, ist so gut wie sicher. Das gilt auch für die USA, das Mutterland des Kapitalismus, wo solche Wetten in der Regel sogar erfunden werden.

Dort zeigt sich Jerome Powell, der amerikanische Notenbankchef, momentan zwar noch unbeeindruckt: Er lässt seinen „wrecking ball“ bereits schwingen und hat damit die ersten Milliarden aus den Stützen seines Finanzsystems schon herausgeschlagen. Solange er so weiter macht, rückt die nächste Finanzkrise näher. Denn je weniger Halt das Finanzgebäude hat, desto eher fängt es irgendwo an zu krachen.

Und sollte sich die Krise tatsächlich entfalten, könnte es diesmal sogar die letzte sein, die das Finanzsystem zum Einsturz bringt. Ich glaube jedoch nicht, dass Powell & Kollegen im Nachhinein dafür als Schuldige gebrandmarkt werden wollen. Deshalb erwarte ich, dass Powell an einem bestimmten Punkt einknickt und seine Abrisstruppe zurückpfeift. Wetten, dass …?

 

Weitsichtige EZB – gut für Italien und die Aktienmärkte – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun die Zinsen erhöht, und zwar um ganze 0,5 Prozent. Das war immerhin doppelt so viel wie der Markt erwartet hatte. Relativ gesehen fällt die Zinserhöhung damit um 100 Prozent höher aus, was ja sehr ordentlich ist. Doch das Ganze relativiert sich sehr schnell, wenn man sich ansieht, wo der Einlagenzins jetzt steht. Denn statt minus 0,5 Prozent liegt er jetzt bei null Prozent. Das hat mit echter Inflationsbekämpfung natürlich nichts zu tun. Es ist reine Symbolpolitik, die zeigen soll, dass der EZB die Inflation nicht ganz egal ist. Es zeigt aber auch, dass meine These stimmt, der gemäß echte Inflationsbekämpfung wie Anfang der achtziger Jahre nicht möglich sein wird. Damals lagen die Inflationsraten im Bereich von bis zu 7 Prozent in Deutschland und die Leitzinsen wurden auf dieses Niveau angehoben. So sieht echte Inflationsbekämpfung aus, weil nur dann, wenn Anleger auf dem Konto ungefähr den Zins bekommen, den das Geld an Wert verliert, das Geld wieder auf die Sparkonten fließt und somit nicht in den Konsum. Doch würde man eine solche Politik heute betreiben, würde die Eurozone in eine schwere Rezession und in die nächste Eurokrise rutschen. Viel zu hoch sind die Schulden. Natürlich, die EZB könnte im Gegenzug immer mehr Anleihen beispielsweise von Italien kaufen, um deren Finanzierung auch zu viel höheren Zinsen sicherzustellen, am Ende würden die höher verschuldeten Länder der Eurozone aber nur noch immer mehr neues Geld leihen, um die Zinslast schultern zu können. Das Ende wäre dann wahrscheinlich ein kompletter Vertrauensverlust in die Gemeinschaftswährung.

Zu große Zinsunterschiede zu bekämpfen, ist richtig
Die EZB hat gestern aber nicht nur die Zinsen erhöht, sondern auch ein Programm namens TPI aufgelegt, das ihr im Bedarfsfall ermöglicht, in den Markt der Staatsanleihen dahingehend einzugreifen, zu große Zinsunterschiede zwischen den einzelnen Ländern durch gezielte Anleihekäufe und -verkäufe zu verhindern. Der Reflex der deutschen Stabilitätsapostel war schon im Vorfeld absehbar. Die EZB dürfe dies nicht, damit die Marktkräfte Länder mit unsolider Haushaltspolitik über höhere Zinsen zu einer Konsolidierung zwingen. Es ist die immer gleiche Leier seit Ausbruch der Eurokrise und sie ist heute genauso wenig richtig wie damals. Gerade der Blick auf Italien, das man hier immer im Auge hat, zeigt, wie falsch diese These ist und wie falsch auch der Markt liegt. Ja, die Staatsverschuldung Italiens ist eine der höchsten in Eurozone, die Gesamtverschuldung also einschließlich Unternehmen und Privathaushalten ist aber die viertgeringste mit gut 250 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Frankreich hingegen hat eine Gesamtverschuldung von 350 Prozent und lebt immer noch über seinen Verhältnissen. Das war in Italien bis zur Corona-Krise nicht mehr der Fall. Das Land erwirtschaftete jahrelang Primärüberschüsse. Das bedeutet, dass der Staatshaushalt ausgeglichen war und nur die Zinszahlungen für ein Defizit sorgten. Hier hatte Italien aus der Zeit, in der die Anleihezinsen noch sehr hoch waren, einen eben nicht geringen Dienst zu leisten. Die gesunkenen Anleiherenditen verringerten demgemäß das letzte Problem, das Italien auf der Schuldenseite noch hatte. Nichtsdestotrotz meint man in Deutschland, der Markt müsste dieses Problem erneut erschaffen, damit Italien spart. Dabei haben die letzten Jahre bis zur Corona-Krise doch gezeigt, dass Italien auch bei den dann geringen Anleihezinsen nicht zu einer erneuten Verschuldungspolitik übergegangen ist. Es braucht hier nicht den Zuchtmeister der hohen Zinsen. Ließe man sie aber doch zu, dann bestünde die Gefahr, dass das Land es nicht schafft, aus der Krise zu kommen, weil die Belastungen einfach zu hoch sind. Wir erinnern uns: Der Ausbruch von Corona in Europa fand in Norditalien statt. Und hier konnte man schön beobachten, welche Folgen das zusammengesparte Gesundheitssystem hatte. Irgendwo sind die Grenzen der Belastbarkeit erreicht und dann steht plötzlich alles auf dem Spiel in einem Land, in dem es mittlerweile links und rechts extreme Kräfte im Parlament gibt mit nicht unerheblichen Stimmenanteilen. Auch aktuell gibt es wieder eine Regierungskrise. Aber wir dürfen beruhigt sein. Die Bundesbank-Stabilitätspolitiker à la Jürgen Stark, Axel Weber, Jens Weidmann und jetzt Joachim Nagel sind in der EZB längst die Minderheit. Durchgesetzt hat sich die Linie von Mario Draghi, der mit seinem Satz „Whatever it takes“ damals im Jahr 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise klargemacht hat, dass auch in diesem Währungsraum keine Staatspleiten passieren werden, weil die Zentralbank als letzte Instanz dies verhindern wird.

EZB-Politik ungefährlich für Aktienmärkte
Italienische Aktien wie aber auch italienische Staatsanleihen erscheinen vor diesem Hintergrund nicht unattraktiv, zumal Italien den größten Teil aus dem Corona-Wiederaufbaufonds von insgesamt 750 Milliarden Euro erhalten wird. Das Geld soll für Investitionen vor allem auch im Bereich erneuerbare Energien ausgegeben werden. Bekommt man wieder eine stabile Regierung nach Möglichkeit unter Beteiligung von Mario Draghi hin, könnte das Land da stehen, wo Deutschland stand, als die Agenda 2010 verabschiedet wurde. Der Wiederaufstieg vom kranken Mann Europas ist hinlänglich bekannt. Insgesamt betrachtet ist die aktuelle EZB-Politik harmlos für die Aktien. Natürlich gilt auch hier, die Politik aus 2021 mit Anleihekäufen und negativen Zinsen war noch besser, aber wenn es bei diesen homöopathischen Dosen in der Zinspolitik bleibt, dann dürfte die Belastung für europäische Aktien begrenzt sein. Bleiben nur der Ukraine-Krieg und eine mögliche Energiekrise als Damoklesschwert. Eine Voraussage diesbezüglich ist schwierig, man muss die Situation Tag für Tag beobachten. Noch ist daher Vorsicht bei europäischen Aktien geboten. Ist allerdings ein Ende dieses Konfliktes in Sicht, haben die Länder der Eurozone und ihre Aktien großen Nachholbedarf.