Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Auch wenn es nicht direkt in der Kursentwicklung zum Ausdruck kommt – die Unsicherheit in Wirtschaft und Börsen nimmt weiter zu. Gründe gibt’s genug. Jeden Tag: Ukraine und Taiwan, Energiekrise und Inflation, Rezessionssignale und Notenbankbedenken etc.
Mir ist das Wort „Unsicherheit“ zu schwach. Doch beim Nachschlagen nach Synonymen und ihren Bedeutungen trifft man auf eine ungewöhnliche Vielzahl, die verdeutlicht, dass überzeugende, konkrete Prognosen derzeit kaum möglich sind. Hier eine Auswahl: Gefahr, Angst, Risiko, Bedrohung, Zweifel, Problematik, Schwäche, Vorsicht, Skepsis, Verwirrung, Hemmung, Unberechenbarkeit. Fällt Ihnen etwas auf, geschätzte Anleger? Alle diese Begriffe können auf das angewandt werden, was die Märkte heute bewegt – und morgen vermutlich weiter bewegen wird.
Nehmen wir den stark beachteten Ifo-Geschäftsklimaindex: Der ist diesmal nur minimal gesunken, Aber erläuternd schreiben die Münchner Forscher: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist schlecht. Die Unternehmen waren etwas weniger zufrieden mit den laufenden Geschäften. Der Ausblick auf die kommenden Monate blieb nahezu unverändert deutlich pessimistisch. Die Unsicherheit unter den Unternehmen bleibt hoch. Die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal schrumpfen.
Kein Wunder, dass nach dieser Schilderung die Sorgen der Marktteilnehmer nicht verfliegen. Die meisten Volkswirte betrachten die gegenwärtige Phase schon als Rezession, andere gehen von dem bevorstehenden Beginn der wirtschaftlichen Schrumpfung aus. Unterschiedlich werden die Perspektiven für die Inflation beurteilt: Teilweise sieht man den Gipfel erst im zweistelligen Bereich, manche Experten stellen jedoch heraus, dass noch in diesem Jahr die Teuerung langsam sinken könne. So oder so – sie wird noch lange (zu lange) höher als die Zinsen bleiben. Alle blicken jetzt nach Wyoming, denn auf dem internationalen Notenbanken-Treffen in Jackson Hole sollte es mehr Klarheit zumindest über den weiteren Kurs der Fed geben.
Auch wenn es keine besondere Erkenntnis ist – wenn nicht traden oder sich im Stockpicking üben will, sollte lieber zweimal nachdenken, ob er in diesen Tagen unbedingt neue Aktienengagements eingehen muss. Der Vermögenserhalt ist jetzt doch wichtiger als eine kurz- bis mittelfristige Spekulation auf Wertsteigerung. Während ganz langfristige Aktien- und Investmentsparpläne (= Vorsorgesparen) einfach weiterlaufen können, sollten andere Depots überprüft werden, wo noch Maßnahmen zur Risikoabsicherung getroffen werden können. Also „Sicherheit“ statt „Unsicherheit“ – soweit das möglich ist.