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Kutzers Zwischenruf: Inflation, Zinsen und Euro halten uns weiter in Atem

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Nein, vor uns liegen keine ruhigen Herbst-Winter-Monate. Es bleibt spannend – und gefährlich! Wer mit einem Ohr die heutige Bundestagsdebatte verfolgt hat und anschließend die spontanen Reaktionen auf den EZB-Zinsschritt, konnte einen eher skeptischen Eindruck von den kurz- bis mittelfristigen Aussichten für Wirtschaft und Börse gewinnen. Zynisch formuliert: Inflation und Zinsen werden weiter steigen, Anleihen- und Aktienkurse werden dann fallen. Und der Euro bleibt labil. All das vor dem Hintergrund des anhaltenden Ukraine-Kriegs, der Energiekrise, einer beginnenden Rezession in Europa und der Ungewissheit über die Entwicklung der Pandemie.

Seit Tagen mehren sich die miesen Lageberichte aus der deutschen Wirtschaft. Die Prognosen klingen noch schlechter. Woher soll da noch 2022 die Wende zum Besseren kommen? Die EZB hat die Zinsen um 75 Basispunkte angehoben und sich damit zum größten Zinsschritt ihrer Geschichte durchgerungen. Die Entscheidung hatte sich seit einigen Tagen angebahnt, denn angesichts der trabenden („galoppierenden“ wäre überzeichnet) Inflationsraten war im EZB-Rat das Lager der Tauben immer kleiner geworden. Gleichzeitig hat die Notenbank für die kommenden Meetings weitere Zinserhöhungen angekündigt, abhängig von der Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds. Nicht einmal mehr die EZB selbst erwartet auf mittlere Sicht das Erreichen ihres Inflationsziels von 2 Prozent.

Die außergewöhnlich hohe Leitzinsanhebung wird von Frankfurter Bankern begrüßt und zugleich kritisiert: Sie kommt aber zu spät, denn die Wirtschaft des Euroraums befindet sich bereits auf dem Weg in die Rezession. „Der große Zinsschritt war unausweichlich“, schreibt ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Angesichts einer vermutlich bald zweistelligen Inflationsrate in der Euro-Zone mussten auch die Tauben im Rat den Widerstand gegen starke Zinserhöhungen aufgeben. Der Ansehensverlust der EZB nach ihren eklatanten Inflations-Fehlprognosen wird besonders durch die steigenden Inflationserwartungen der Finanzprofis deutlich. Hier muss die EZB durch einen straffen Kurs nun neue Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Positiver klingt die spontane Stellungnahme von Ifo-Präsident Clemens Fuest: „Besser spät als nie. Die 0,75 Prozent sind ein richtiger Schritt.

Dennoch bleibt die Geldpolitik sehr expansiv. In den nächsten Monaten werden weitere Zinserhöhungen folgen müssen. Die Zinsen sind nach wie vor sehr niedrig, und die Inflationserwartungen der privaten Haushalte steigen immer weiter an. Die EZB hat noch nicht begonnen, den Bestand an gekauften Staatsanleihen abzubauen. Auslaufende Anleihen werden durch neue ersetzt. Es ist wichtig, dass die von der EZB angekündigten weiteren Zinsschritte tatsächlich bald kommen. Den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik wegen der Aussicht auf einen Konjunkturabschwung zu verschieben, würde die Kosten der Inflationsbekämpfung nur steigern.

Außerdem ist der Abschwung vor allem durch Angebotsverknappung verursacht, deshalb ist es richtig, dass die EZB die Nachfrage dämpft. Und noch eine Stimme aus dem Lager der Betroffenen. Eindeutig kritisch ist die Reaktion von Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmer: „Die heute verkündete Zinserhöhung zeugt davon, dass die EZB ein Opfer ihrer seit langem falschen Geldpolitik ist. Sie hat den Flächenbrand der Inflation nicht kommen sehen und die Gefahr noch vor wenigen Monaten generell verneint. Jetzt bleibt ihr nichts anderes mehr übrig, als in die drohende Rezession hinein mit höheren Zinsen die Konjunktur weiter zu bremsen.“

Kutzers Zwischenruf: Die Deutschen haben zu viel Angst

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Während unsere Parlamentarier über Zahlen debattieren, wächst in der Bevölkerung die Angst – Angst vor fast allen Krisenerscheinungen, die inzwischen furchterregende Ausmaße annehmen. Zwei Meldungen von heuten bestätigen dies. Die darin veröffentlichten Zahlen können einem tatsächlich Angst machen. So steigt nach wochenlanger Rekordhitze und extremer Trockenheit die Sorge der Deutschen vor den Folgen des Klimawandels erneut merklich an. Jeder dritte Bundesbürger (32%) gibt inzwischen wieder an, den Klimawandel aktuell zu den drei größten Sorgen zu zählen – sechs Prozentpunkte mehr als noch im Vormonat.

Ein höherer Wert wurde in Deutschland zuletzt im Oktober 2021 gemessen, so das Ergebnis der monatlich in 28 Ländern weltweit durchgeführten Ipsos-Studie „What Worries the World.“ Damit liegt der Klimawandel hinter den Themen Inflation (44%) sowie Armut und soziale Ungleichheit (35%) nun wieder auf Platz drei der größten Sorgen der Deutschen. Auf den Rängen vier und fünf der Sorgenskala rangieren die Angst vor militärischen Konflikten (27%) und Corona (22%). Die größte Sorge der Deutschen bleibt allerdings zum dritten Mal in Folge die Inflation. Inzwischen gibt sogar fast die Hälfte (44%) aller Bundesbürger an, dass das steigende Preisniveau derzeit zu den größten Problemen im eigenen Land gehört – ein neuer Rekordwert in der seit 2012 durchgeführten Ipsos-Studie. Auch weltweit liegt Inflation mit 39 Prozent auf Platz 1 der Sorgenskala.

Am größten sind die durch Preissteigerungen und sinkende Kaufkraft ausgelösten Sorgen in Argentinien (71%), Polen (67%) und der Türkei (56%). Im Gegensatz zur Inflation scheint die Kriegsangst für viele Deutsche allmählich etwas in den Hintergrund zur rücken. Auch die Angst vor Corona nimmt weiter ab. „So sieht Angst aus“ melden heute auch die Frankfurter Stimmungsforscher von Sentix. Nach deren Erhebung rauscht das Sentiment für US-Aktien in nie da gewesene Tiefen! Wörtlich heißt es: „Mit minus 52 Prozentpunkte messen wir einen Wert, der seinesgleichen sucht. Rezessionsängste gehen um, die Notenbanken können und wollen wegen der hohen Inflation nicht helfen.

Die anstehende problembeladene Jahreszeit tut ihr übriges.“ Ein solch drastisches Sentiment („Schock-Moment“) hat Folgen. In 2001 lag drei Wochen später der S&P 500 rund 8% tiefer (Wochenschlusskurs). Der Dax verlor zeitgleich über 15%. Dann erst wurde das Markttief gesetzt. Ich bin schon gespannt, ob es diesmal ähnlich kommt. Lassen Sie sich dadurch aber nicht zu panikartigem Verhalten verleiten, geschätzte Anleger. Sie wissen doch: Angst und Gier sind schlechte Ratgeber – gerade an der Börse. Aber nicht nur wenn‘ ums Geld geht. Seien wir weiter vorsichtig, ja, aber nicht ängstlich!

Die Flut, die alle Boote hebt, wird es erst mal nicht geben-Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

Vor einigen Wochen habe ich hier geschrieben, dass wir auf eine schnelle Rezession hoffen sollten, damit die Geldpolitik der US-Notenbank, die derzeit den stärksten Gegenwind für die Aktien darstellt, wieder schnell gelockert wird. Die Rezession haben wir.
 
Entgegen den Prognosen der meisten Volkswirte ist die US-Wirtschaft auch im zweiten Quartal geschrumpft, und da dies schon im ersten Quartal so war, sprechen wir in den USA jetzt von einer technischen Rezession. Anzeichen der US- Notenbank hierauf zu reagieren, gibt es bisher aber nicht, denn sie hat auch keinen Grund dazu.
 
Erstmalig sinken in einer Rezession die Arbeitslosenzahlen
Die Federal Reserve kann diese Rezession gelassen ignorieren. Rezessionen zu bekämpfen, ist kein Selbstzweck. Damit bezweckt man eigentlich immer nur eines: Arbeitslosigkeit zu verhindern.
 
Diese trifft jeden einzelnen, der davon betroffen. Aber sie gefährdet ab einem gewissen Maß auch den sozialen Frieden. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist während dieser Rezession im ersten Halbjahr dieses Jahres aber nicht gestiegen, sondern sogar gefallen. Das hat es noch nie gegeben. Und der Arbeitsmarkt boomt weiter. Noch immer suchen US-Unternehmen händeringend Personal.
 
Damit ist aber auch klar, dass die schnelle Wende in der Geldpolitik nicht zu erwarten ist. Ein Umsteuern von Inflations- auf Rezessionsbekämpfung wird es nicht geben. Das sind keine guten Aussichten für die Aktienmärkte, zumal die FED jetzt ab September im Volumen von 95 Milliarden US-Dollar Wertpapiere aus ihrer Bilanz verkaufen wird.
 
Ihre Käufe haben den Aktienmarkt 2020 und 2021 extrem nach oben getrieben, die Verkäufe können nur das Gegenteil bewirken. Einziger Lichtblick: Die Märkte haben sich bereits auf das Schlimmste eingestellt. Dennoch ist dies in den Kursen noch nicht enthalten, denn diese Wertpapierverkäufe finden real statt und entziehen Liquidität in dem Moment, wo sie passieren und nicht schon vorher.
 
Hoffnung auf schnelle Unternehmenspleiten
Warum reite ich so sehr auf dem Thema Liquidität herum? Ganz einfach: Für die kurz- bis mittelfristige Tendenz ist sie viel wichtiger als die Fundamentaldaten der Wirtschaft und der Unternehmen.
 
Einen neuen Börsenaufschwung mit Rekordkursen wird es nur geben, wenn sich die Geldpolitik geändert hat. Dies könnte natürlich auch passieren, weil die Inflation ohnehin herunterkommt. Damit ist auch zu rechnen.
 
In den USA dürfte sie ihren Höhepunkt bereits überschritten haben. In Europa kommt der Höhepunkt wegen der extrem gestiegenen Gaspreise wahrscheinlich noch. Diese werden ja zeitverzögert erst in den Verbraucherpreisen sichtbar. Spätestens im nächsten Jahr dürften sich dann aber auch hier Basiseffekte einstellen. Aber auf zwei Prozent wird die Inflation so schnell wahrscheinlich nicht zurückkommen. Und solange dies nicht der Fall ist, dürfte mit einer Lockerung der Geldpolitik nicht zu rechnen sein. Nur eine weitere Verschärfung wird es dann wahrscheinlich nicht geben. Damit bleibt nach wie vor nur ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit als Vorbedingung für eine wieder lockerere Geldpolitik.
 
Es klingt schon verrückt, aber die in den letzten Jahren extrem gestiegenen Unternehmensschulden sind es, die etwas Hoffnung machen. So wie die gestiegenen Zinsen den Immobilienmarkt in den USA 2007 zum Einsturz brachten, könnten die ganzen Zombie-Unternehmen, die bei den Niedrigzinsen ihren Zinsdienst schon nicht mehr aus den Erträgen erwirtschaften konnten, womöglich ganz schnell umfallen und mit Ihnen die kreditgebenden Banken in Not geraten.
 
Würde sich hier eine Kettenreaktion abzeichnen, die dann plötzlich ein Umschwung in eine schwere Rezession bedeuten könnte, dürfte die US-Notenbank umsteuern. Hoffen wir also auf die Zinssensitivität der US- und der Weltwirtschaft allgemein.

 

 

Kutzers Zwischenruf: Wirtschaft und Inflation – Noch keine Entwarnung

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Neue Wirtschaftsdaten, die erfahrungsgemäß auch Einfluss auf die Börsenkurse haben, zeichnen noch kein klares Bild. Saisonale und Sondereinflüsse spielen neben den Kriegsfolgen eine Rolle. Außerdem haben sie an manchen Tagen unterschiedliche Vorzeichen. Dabei ist darauf zu achten, was für Deutschland, was für die Eurozone und was für einzelne Branchen gilt. Versucht man die Indikatoren auf einen Nenner zu bringen, dass passt „uneinheitlich“ wohl am besten. Das spiegeln auch die Aktienkurse wider.

Die Wirtschaftsstimmung in der Eurozone hat sich im August stärker als erwartet eingetrübt. Der Economic Sentiment Indicator (ESI) fiel im Vergleich zum Vormonat um 1,3 Punkte auf 97,6 Punkte, wie die Europäische Kommission am Dienstag mitteilte. Analysten hatten im Schnitt einen Rückgang auf 98,0 Punkte erwartet. Der Indikator sank auf den niedrigsten Stand seit Februar 2021 und liegt weiter unter seinem langfristigen Durchschnitt. Es ist der dritte Rückgang in Folge. In den Industrie- und Dienstleistungsbetrieben der Eurozone trübte sich die Stimmung erneut merklich ein. Das Verbrauchervertrauen verbesserte sich hingegen. Auch die Stimmung im Einzelhandel und in der Bauwirtschaft hellte sich ein wenig auf.

Und die Inflation? Im Juli lagen die Verbraucherpreise hierzulande um 7,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Im Juni hatte die Jahresteuerungsrate 7,6 Prozent betragen, im Mai waren es sogar 7,9 Prozent Keine Überraschung, dass die Teuerung nach der (leichten) sommerlichen Abkühlung wieder steigt und dabei laut vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts im August wieder bei 7,9 Prozent geklettert ist. Energie ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs der Hauptpreistreiber. Daneben leiden die Bundesbürger auch unter einem zweistelligen Anstieg der Lebensmittelpreise. Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass die Inflationsrate noch im Laufe des Herbstes weiter in historische Höhen steigen und dabei mehr als fatale 10 Prozent erreichen dürfte.

Sicher können Sie aber nur sein, geschätzte Anleger, dass in den kommenden Wochen die Diskussionen über fiskalische Maßnahmen und Versäumnisse der Ampel-Koalition ebenso weiter anhalten werden wie die Kontroversen in der Fachwelt über die nächsten geldpolitischen Schritte der EZB, die ja ähnlich wie die amerikanische an Fed an der Stabilisierung des Geldwerts festhalten will. Auf beiden Seiten des Atlantiks werden unverändert Verbraucherpreisindizes in der Größenordnung von + 2 Prozent angepeilt.

Zur Erinnerung: Im August 2021 lag die Inflation hierzulande noch bei (relativ erträglichen) 3,9 Prozent, unmittelbar vor Kriegsbeginn Anfang dieses Jahres noch bei 4,9 Prozent. Die monatliche Steigerung von 7,9 Prozent ist ein Spitzenwert in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte – noch.

Kostolany hatte Recht! – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gemeinhin gilt an den Börsen die Regel, dass nur ein Aufschwung, der von hohen Umsätzen begleitet ist, auf sicherem Fundament steht. Diese Theorie kommt aus der Ecke der Charttechniker, die zu der allgemeinen Bewegung eben auch die Umsätze mitverfolgen. Steigt eine Aktie also mit hohen Umsätzen, wird dies als Trendbestätigung gesehen und deutet gemäß dieser Theorie auf eine Fortsetzung des Aufwärtstrends hin.

Die Theorie der Hartgesottenen und Zittrigen

Börsenaltmeister André Kostolany sah dies ganz anders. Er hielt Börsenaufschwünge mit geringen Umsätzen für viel gesünder als umgekehrt. Dies leitete sich für ihn aus seiner Theorie der Hartgesottenen und Zittrigen ab. Die beiden Anlegergruppen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass die einen sich vom Trend mitreißen lassen, während die anderen antizyklisch handeln und kaufen, wenn die Kurse stark gefallen sind. Der Beginn eines Aufschwungs ist demgemäß der, in dem die Hartgesotten die Aktien von den Zittrigen kaufen, die in Panik aufgrund fallender Kurse an sie verkaufen. Sind die Kurse dann wieder eine Zeit lang gestiegen, üben sie wieder Anziehungskraft auf die Zittrigen aus, die den Anstieg als Beleg für die zukünftige Entwicklung sehen. Nach bereits starken Kursgewinnen kommen immer mehr Zittrige wieder zurück in den Markt und kaufen den Hartgesottenen, die unten eingestiegen sind, die Aktien teuer ab. Befinden sich die Papiere dann mehrheitlich wieder in den Händen der Zittrigen, ist die Gefahr groß, dass bei negativen Nachrichten diese die Aktien nervös aus den Depots schmeißen. Denn sie haben keine echten Überzeugungen, sondern sind letztlich nur eingestiegen, um nichts zu verpassen. Der so losgetretene Abschwung zieht dann weitere Verkäufe von Zittrigen nach sich, bis die Kurse in einer regelrechten Panik wieder abstürzen, wo dann die Hartgesotten sie wieder einsammeln. Das war für „Kosto“ der ewige Zyklus der Börse. Und demgemäß sah er steigende Kurse begleitet von geringen Umsätzen sehr viel lieber als von hohen Umsätzen begleitete. Denn sind die Umsätze gering, wechseln demgemäß weniger Aktien aus den Händen der Hartgesotten in die Hände der Zittrigen. Beim Abschwung ist es genau umgekehrt. Da ist es dann gut, wenn die Umsätze vor allem in der letzten Phase der Abwärtsbewegung enorm hoch sind, weil die Aktien dann in großer Anzahl von den Zittrigen wieder in die Hände der Hartgesotten wandern. Und diese haben Überzeugungen und verkaufen nicht, auch wenn die Nachrichtenlage mal schwierig ist.

Studie von HQ Trust bestätigt Kostolany

Nun hat eine Studie des Vermögensverwalters HQ Trust hervorgebracht, dass steigende Aktien mit steigenden Umsätzen keineswegs bedeuten, dass der Trend sich fortsetzt. Analyst Pascal Kielkopf hat dafür das Verhalten der aktuell 627 Aktien des Index MSCI USA im Zeitraum von Oktober 1998 bis Mai 2022 untersucht. Das Ergebnis: Bei einem hohen Handelsvolumen einer Aktie ist ihre Rendite im Mittel nicht nur im laufenden Monat stark unterdurchschnittlich, sondern auch im nächsten. Eine für jeden sichtbare Bestätigung lieferten auch die so genannten Meme-Aktien wie GameStop oder die Kinokette AMC. Diese stiegen im vergangenen Jahr bei enormen Umsätzen, teilweise wurde am Tag mehr gehandelt als die gesamte Marktkapitalisierung der Unternehmen. Die Aktien erlebten zwar einen starken Aufschwung dann aber auch wieder einen starken Zusammenbruch. Auch die Gegenprobe bestätigt übrigens die Untersuchung. Aktien mit niedrigem Handelsvolumen werfen in den folgenden Monaten eine höhere Rendite ab. Es lohnt sich also nicht, in Aktien einzusteigen, die steigen, weil dies von hohen Umsätzen begleitet ist.

Noch mal zurück zu Kostolany. Wo liegen die Aktien derzeit wohl? Bei den Hartgesotten oder den Zittrigen? Ich würde sagen, sie sind im Kursabschwung im ersten Halbjahr 2022 überwiegend in den Händen der Hartgesotten gelandet. Denn trotz des schwierigen fundamentalen Umfeldes aus Inflation, Rezession, Energiekrise und Krieg halten sie sich eigentlich ziemlich stabil.

 

 

Kutzers Zwischenruf: Werterhalt ist jetzt wichtiger als Wertsteigerung

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Auch wenn es nicht direkt in der Kursentwicklung zum Ausdruck kommt – die Unsicherheit in Wirtschaft und Börsen nimmt weiter zu. Gründe gibt’s genug. Jeden Tag: Ukraine und Taiwan, Energiekrise und Inflation, Rezessionssignale und Notenbankbedenken etc.

Mir ist das Wort „Unsicherheit“ zu schwach. Doch beim Nachschlagen nach Synonymen und ihren Bedeutungen trifft man auf eine ungewöhnliche Vielzahl, die verdeutlicht, dass überzeugende, konkrete Prognosen derzeit kaum möglich sind. Hier eine Auswahl: Gefahr, Angst, Risiko, Bedrohung, Zweifel, Problematik, Schwäche, Vorsicht, Skepsis, Verwirrung, Hemmung, Unberechenbarkeit. Fällt Ihnen etwas auf, geschätzte Anleger? Alle diese Begriffe können auf das angewandt werden, was die Märkte heute bewegt – und morgen vermutlich weiter bewegen wird.

Nehmen wir den stark beachteten Ifo-Geschäftsklimaindex: Der ist diesmal nur minimal gesunken, Aber erläuternd schreiben die Münchner Forscher: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist schlecht. Die Unternehmen waren etwas weniger zufrieden mit den laufenden Geschäften. Der Ausblick auf die kommenden Monate blieb nahezu unverändert deutlich pessimistisch. Die Unsicherheit unter den Unternehmen bleibt hoch. Die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal schrumpfen.

Kein Wunder, dass nach dieser Schilderung die Sorgen der Marktteilnehmer nicht verfliegen. Die meisten Volkswirte betrachten die gegenwärtige Phase schon als Rezession, andere gehen von dem bevorstehenden Beginn der wirtschaftlichen Schrumpfung aus. Unterschiedlich werden die Perspektiven für die Inflation beurteilt: Teilweise sieht man den Gipfel erst im zweistelligen Bereich, manche Experten stellen jedoch heraus, dass noch in diesem Jahr die Teuerung langsam sinken könne. So oder so – sie wird noch lange (zu lange) höher als die Zinsen bleiben. Alle blicken jetzt nach Wyoming, denn auf dem internationalen Notenbanken-Treffen in Jackson Hole sollte es mehr Klarheit zumindest über den weiteren Kurs der Fed geben.

Auch wenn es keine besondere Erkenntnis ist – wenn nicht traden oder sich im Stockpicking üben will, sollte lieber zweimal nachdenken, ob er in diesen Tagen unbedingt neue Aktienengagements eingehen muss. Der Vermögenserhalt ist jetzt doch wichtiger als eine kurz- bis mittelfristige Spekulation auf Wertsteigerung. Während ganz langfristige Aktien- und Investmentsparpläne (= Vorsorgesparen) einfach weiterlaufen können, sollten andere Depots überprüft werden, wo noch Maßnahmen zur Risikoabsicherung getroffen werden können. Also „Sicherheit“ statt „Unsicherheit“ – soweit das möglich ist.

Kutzers Zwischenruf: Der Nebel wird sich so schnell nicht verziehen

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Hallo Leute! Glaubt ja nicht, die Börsenprofis wüssten (auch nur einigermaßen) genau wie’s weitergeht. Momentan sowieso nicht. Denn es gibt einfach zu viele Fragezeichen. Deshalb sollten kurz- und mittelfristige Anleger nicht nach einem klaren Trend suchen – den gibt’s noch nicht, weder kursmäßig noch stimmungstechnisch. Schon ein oberflächlicher Rückblick auf den bisherigen Jahresverlauf zeigt, wie uneinheitlich die Aktienmärkte sind. Den Uralt-Börsenspruch „Geht Butter, geht Käse“ (= alles geht, Metapher für einen Trend) kennen junge Akteure gar nicht mehr. Ausreißer aus dem Kursbild insgesamt, die vor Jahrzehnten als „Sonderbewegungen“ innerhalb eines Trends bezeichnet wurden, sind längst auf der Tagesordnung. Mein Bauchgefühl signalisiert weder Hoffnung auf eine nachhaltige Hausse von Dax & Co. noch Angst vor einem drohenden Crash. Prominente Anlagestrategen ticken ähnlich und formulieren ihre Marktbetrachtungen betont vorsichtig. Manchmal muss man deren Aussagen mindestens zweimal lesen, um die konkrete Meinung zu verstehen.

Die Kombination aus geopolitischen Spannungen, einer anhaltend hohen Inflation, schnell nachlassender Wirtschaftsdynamik und in die Enge getriebener Zentralbanken, die deutlich „hinter die Kurve“ gefallen sind, bieten ein „herausforderndes Umfeld“ für Anleger, heißt es in der Wochenanalyse von Allianz Global Investors (AllianzGI). Herausfordernd heißt schwierig, nix für Ängstliche. Und der Vordenker Hans-Jörg Naumer (den ich besonders schätze) ergänzt: „Aus fundamentaler Sicht legt dies nach wie vor eine insgesamt vorsichtige Haltung gegenüber riskanten Anlagen nahe.“ Enttäuschungen wegen zwischenzeitlich aufgeflammter Hoffnungen, die Fed könne doch etwas weniger restriktiv verfahren als angenommen, sind da ebenfalls nicht auszuschließen. Die Staatsanleihenmärkte bewegen sich zwischen den Antipoden erhöhter Inflations- und nun steigender Rezessionsrisiken. Kein einfaches Navigieren!

Auch der globale Investmentmanager Federated Hermes (Pittsburgh) denkt ähnlich: Es ist noch zu früh, um mit Zuversicht zu behaupten, dass die Inflation unter Kontrolle ist. Denn in der Tat gibt es nach wie vor Engpässe in den Lieferketten, und Russlands Krieg in der Ukraine entzieht sich eindeutig der Kontrolle der Zentralbanken. Aber es gibt erste Anzeichen dafür, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben könnte. Angesichts der sinkenden Rohstoffpreise richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Wohnkosten und die Lohnsteigerungen, um die neue Normalität der Inflation zu ermitteln: Die Zeiten, in denen die Zentralbanken um ein Inflationsziel von 2 Prozent kämpften, scheinen nun weit entfernt zu sein. Und die Inflation könnte sich auf einem Niveau einpendeln, das zu Beginn des Jahres kaum vorstellbar war. Diese Entwicklung wirft einen schweren Schatten auf die Aktienmärkte, trotz der jüngsten Anzeichen dafür, dass sich das Tempo der Zinserhöhungen in den USA verlangsamen wird. Wörtlich schreiben die Portfolio Manager: „Wir sind nach wie vor optimistisch, dass sich die derzeitige Rally zu einem längerfristigen Bullenmarkt entwickeln wird. Wir sind uns aber bewusst, dass die geopolitischen Risiken nach wie vor hoch sind und es zu früh ist, die Möglichkeit einer Bärenmarkt-Rally auszuschließen. Die Risikobereitschaft der Anleger ist nach wie vor unbeständig.“

Auch beim Helaba-Research herrscht ein eher zuversichtlicher Grundton: Angesichts des Rückgangs beim ZEW-Index dürften die Marktteilnehmer zwar auf schwache Werte vorbereitet sein. Kurzfristiger Rückenwind für Aktien ist jedoch nicht zu erwarten. Allerdings spricht das niedrige Niveau der Frühindikatoren dafür, dass der Wachstumspessimismus bald seinen Höhepunkt erreicht. Aktien nehmen eine Konjunkturerholung rund ein halbes Jahr vorweg. Kurzfristig kann es in dieser Gemengelage zwar noch zu Kursrücksetzern kommen. Diese würden allerdings mittelfristig orientierten Anlegern aufgrund der moderaten Bewertung deutscher und europäischer Titel die Gelegenheit zum Einstieg bieten.
Seid geduldig und handelt selektiv, meine Freunde. Kurzfristig möchte ich hinzufügen, dass auch die neue Woche keine klaren Trendsignale verspricht.

Kutzers Zwischenruf: Weltmärkte auf unterschiedlichen Wegen

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Was sich seit Monaten abzeichnet, ist inzwischen immer deutlicher zu erkennen: Börsen und Anlageklassen gehen nicht mehr in die gleiche Richtung. Selbst innerhalb von Ländern, Themen und Branchen differenzieren die Investoren stärker auf der Basis von aktuellen Fundamentaldaten und Prognosen zur Geschäftsentwicklung. Das schließt eine zeitweise parallele Richtung von Kurstendenzen (= hohe Korrelation) nicht aus. Trotzdem, ein aktives Vermögensmanagement wird immer wichtiger – nicht einfach Amerika kaufen, sondern gezielt Qualitätsaktien der Wall Street mit konkreter Fantasie suchen.

Beispiel Länder-Allokation: Chinas Wirtschaftsaussichten sind unsicher, Japans Wirtschaft wächst solide, Schweden droht Rezession – der Deutsche-Bank-Chefstratege beschreibt so drei unterschiedliche Szenarien. Parallel hält die Diskussion über den Zustand der US-Wirtschaft an. Erreicht mich vorhin dazu eine Analyse, die auf einzelne Entwicklungen eingeht. Denn unabhängig vom Ausgang der Debatte darüber, ob sich die USA in einer Rezession befinden oder nicht: Die Kreditausfälle haben zuletzt zugenommen. Am wenigsten betroffen von Zahlungsausfällen bei Kraftfahrzeugen und Kreditkarten. Ansonsten kam es überall zu einem sprunghaften Anstieg. Wie das Zentrum für mikroökonomische Daten der New Yorker Federal Reserve mitteilte, eröffneten die US-Amerikaner im Zeitraum von April bis Juni dieses Jahres 233 Millionen neue Kreditkartenkonten – so viele wie seit 2008 nicht mehr. Im selben Zeitraum stiegen die Kreditkartenschulden im Jahresvergleich um 13 Prozent. Dies markiert den höchsten Quartalsanstieg seit 20 Jahren.

Und bei uns? Vom neuen ZEW-Konjunkturindikator hatte die Börse nichts Spektakuläres erwartet. „Erwartungen nahezu unverändert“, meldeten die Mannheimer Forscher. Denn es gab nur geringfügige Veränderungen verglichen mit den Juli-Zahlen. Lageeinschätzung und Erwartungen für die nächsten sechs Monate bleiben damit ungefähr auf dem niedrigen Niveau des Vormonats. Die ZEW-Konjunkturerwartungen verschlechtern sich im August noch einmal leicht, nach einem sehr starken Rückgang im Vormonat. Die Finanzmarktexperten erwarten somit für Deutschland eine weitere Verschlechterung der ohnehin schwachen Konjunktursituation. Die nach wie vor hohe Zunahme der Konsumentenpreise und die erwarteten zusätzlichen Kosten für Heizung und Strom belasten derzeit vor allem die Aussichten für die konsumnahen Wirtschaftsbereiche. Die Einschätzungen für die Finanzbranche verbessern sich aufgrund der erwarteten festeren Geldpolitik“, kommentiert ZEW-Wissenschaftler Michael Schröder.

Man kann das aber auch anders interpretieren. So schreiben Frankfurter Banker spontan: Die Stimmung unter den deutschen Finanzmarktexperten mit Blick auf die kommenden sechs Monate hat sich laut ZEW-Index „erneut verschlechtert“. Das ist keine Überraschung, denn die deutsche Wirtschaft ist derzeit mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert: Schlecht funktionierende Lieferketten, eine Rekord-Inflation sowie die Unsicherheit rund um den Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Energiekrise. Hinzu kommen nun noch Trockenheit und Niedrigwasser auf den für die Wirtschaft wichtigen Flüssen. Die Sorgen wachsen deshalb und es wird zunehmend wahrscheinlicher, dass die deutsche Volkswirtschaft in den kommenden Quartalen in eine rezessive Phase abgleitet.

Bärenmarkt-Rallye oder neuer Bullenmarkt? – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Die Erholung der Aktienkurse vor allem auch von US-Technologieunternehmen hat mittlerweile ein ganz beachtliches Ausmaß erreicht. Seit den Tiefstkursen ging es zum Beispiel an der Nasdaq rund 20 Prozent nach oben. Beim S&P 500 sind es rund 15 Prozent, beim DAX immerhin zehn Prozent. So stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich hierbei immer noch um eine Bärenmarkt-Rallye handelt oder wir uns bereits wieder in einem neuen Bullenmarkt befinden?

 
Geldpolitik ist der Scharfrichter
Die Frage ist derzeit schwer zu beantworten. Es hängt letztlich von der Geldpolitik ab. Und diese hängt derzeit sehr stark von der weiteren Inflationsentwicklung ab. Ob die Rallye jetzt noch weitergeht oder nicht, dafür kommt es aber auch auf die technische Verfassung an, was bei mir das Sentiment bedeutet. Für die mittelfristige Tendenz ist jedoch entscheidend, ob neue Liquidität in die Märkte kommt. Diese Logik haben die Märkte auch bereits verinnerlicht. So sprangen die Aktienkurse nur so nach oben, als am Mittwoch die US-Inflation statt erwarteter 8,7 Prozent mit nur 8,5 Prozent gegenüber Vorjahr vermeldet wurde. Außerdem ist die Entwicklung der Wirtschaft wichtig. Da ist die USA zwar bereits technisch betrachtet in einer Rezession, weil die ersten beiden Quartale eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts gezeigt haben, der Arbeitsmarkt brummt aber noch immer erheblich. Es ist schon wahrscheinlich, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt überschritten hat. Die Energiepreise sind zuletzt stark zurückgekommen, was der stärkste Treiber in den Monaten davor war. Allerdings ist es schwer vorauszusagen, wie sich die Preise weiterentwickeln. Man muss auf Sicht fahren, was die Geldpolitik betrifft. Solange die US-Notenbank Staatsanleihen aus ihrer Bilanz verkauft, was sie ab September im Volumen von 95 Milliarden US-Dollar pro Monat tun wird, sehe ich keinen neuen Bullenmarkt oder etwaige neue Höchstkurse.
 
Stimmung immer noch sehr verhalten
Einfacher als zu prognostizieren, ob wir uns in einer Bärenmarkt-Rallye oder einem neuen Bullenmarkt befinden, ist derzeit, ob die Rallye – was für eine auch immer sie ist – nun weitergeht oder bald ihr Ende findet. Hier hilft eben das Sentiment weiter. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass sich die Stimmung durch die markante Kurserholung etwas aufgehellt hat, sie aber nach wie vor äußerst verhalten ist.
 
Viele Anleger, auch solche, die an Benchmarks gemessen werden, dürften unterinvestiert sein. Daher ist eine Fortsetzung der Rallye eher wahrscheinlich. Es könnte sich sogar noch ein großer Short-Squeeze vollziehen, dann nämlich, wenn diese Anleger und auch solche, die auf fallende Kurse setzen, unter dem Druck der steigenden Kurse kaufen müssen. Kurzfristig kann der Markt dann Niveaus erreichen, die vor dem aktuell fundamentalen Hintergrund schon wieder als übertrieben erscheinen. An dieser Stelle würde die Rallye ohne geldpolitische Unterstützung dann aber wohl zum Halten kommen.

 

 

Viele Geschäftsideen gehen auf, viele Börsenwetten nicht – Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 
Ab Mitte der 1990er setzte sich das Internet langsam als Massenmedium durch. Die älteren unter den Lesern werden sich noch an die sehr populäre Kampagne erinnern, in der Boris Becker den kurzen Satz sagte: „Ich bin drin!“ Damals allerdings in einem ganz anderen Sinne gemeint als heute, wo der einstige Tennisstar in einem Londoner Gefängnis einsitzt. Er meinte damit, er sei im Internet und bewarb den entsprechenden Zugang von AOL. Zugleich entwickelte man den Mobilfunk mit dem UMTS-Standard so weiter, dass man zukünftig auch Daten größerer Menge würde mobil übertragen können und Handys nicht nur zum Telefonieren, sondern auch zum Surfen im Internet und zum Versenden von E-Mails würde nutzen können. Auch die Medienlandschaft sollte sich – so die damalige Vision – grundlegend verändern. „TMT“ lautete die Abkürzung für Technologie, Medien und Telekommunikation. Kurzum, man war überzeugt davon, dass das Internet die Welt grundlegend verändern würde. Nachrichten würde man nicht mehr aus der Zeitung, sondern aus dem Internet erfahren und einkaufen würde man zukünftig über Online-Händler und nicht mehr im Kaufhaus. Heute über 20 Jahre später, muss man sagen, dass die Visionäre voll und ganz recht behielten. Fraglos hat sich die Mediennutzung fundamental verändert, bestellen wir heute extrem viel online und das Smartphone, dass dann später kam und die Internetnutzung komfortabel auch auf kleinen mobilen Geräten erlaubte, hat diesbezüglich ebenso unser Leben grundlegend verändert.
 
Viele Unternehmen scheiterten
Wer die beschriebene Vision damals hatte, dem kann man durchaus gratulieren und sagen: richtig vorausgesagt. Doch viele, die hier richtig lagen, scheiterten dennoch an der Börse mit den entsprechenden Aktien. Denn natürlich wurde damals auch wild mit den sogenannten TMT-Aktien auf diese Vision spekuliert. In Deutschland wurde extra für Unternehmen dieser Branche ein neues Börsensegment namens „Neuer Markt“ geschaffen. Doch längst nicht alle Unternehmen waren am Ende erfolgreich. Manche hatten nicht die richtige Technologie, andere wurden vom jeweiligen Platzhirsch verdrängt. Und nicht nur das. Selbst die Unternehmen, die sich am Ende durchsetzten, erfüllten nicht die Erwartungen in Bezug auf die Umsatz- und Gewinnentwicklung in der Geschwindigkeit, die notwendig gewesen wäre, um die damaligen Bewertungen zu rechtfertigen. Und so mussten selbst die Überlebenden, zu denen heute auch einige der großen Tech-Riesen der USA gehören, zunächst empfindliche Kursverluste hinnehmen. Der „Neue Markt“ in Deutschland verschwand wieder, nachdem sein Index um 97 Prozent abgeschmiert war.
 
Geschichte wiederholt sich nicht, aber reimt sich
Was wir vor gut 20 Jahren erlebt haben, das spielte sich in Teilen auch in der Corona-Pandemie ab. So wie Internetversender wie Amazon damals hochgejubelt wurden, hätte die Menschheit im Grunde mehr oder minder von einem Tag auf den anderen den stationären Handel ignorieren und nur noch online einkaufen müssen. Dabei war die Annahme, dass E-Commerce dem stationären Handel Marktanteile abjagen würde, absolut richtig. Es dauerte nur eben doch etwas länger. So wuchs E-Commerce durchschnittlich um rund zehn Prozent pro Jahr, während der stationäre Einzelhandel mehr oder minder stagnierte. Aber da man von einem niedrigen Niveau kam, macht der stationäre Handel auch heute noch über 80 Prozent der Einzelhandelsumsätze aus. In der Corona-Pandemie hat sich die Geschichte von damals vielleicht nicht wiederholt, aber sie reimt sich auf die Geschichte von damals. Denn man ging davon aus, dass das E-Commerce-Geschäft einen Wachstumssprung von fünf bis zehn Jahren hinlegen würde, der Versandhandel also innerhalb der Pandemie so schnell wachsen würde, wie bisher in fünf bis zehn Jahren. Internetversender wie die deutsche Zalando, About You, Mister Spex oder der kanadische Onlineshop-Anbieter Shopify gingen nur so durch die Decke. Doch auch hier stellt sich Ernüchterung ein. Der Gründer von Shopify, Tobias Lüdke – ein Deutscher, der in Kanada lebt –, räumt offenherzig ein, dass die Wette auf den großen Wachstumssprung nicht aufgegangen ist. Shopify entlässt daher auch über 1.000 der rund 10.000 Mitarbeiter, die sie haben. Und dennoch, auch wenn der Onlinehandel in diesem Jahr unerwartet einen deutlichen Einbruch erlebt, liegen die Umsätze noch immer weit über dem Jahr 2019. Und ganz sicher wird es wahrscheinlich vor allem unter den älteren Leuten, die notgedrungen in der Pandemie erstmals online bestellten, solche geben, die dies weiterhin tun und sonst nicht getan hätten. Will heißen, auch diese Vision war nicht vollkommen falsch, sie tritt nur eben auch nicht so schnell ein, wie es notwendig wäre, um die Höchstkurse dieser Unternehmen im Jahr 2021 zu rechtfertigen.
 
Value schlägt Momentum
Es lässt sich festhalten, dass viele Geschäftsideen aufgehen, viele Börsenwetten aber eben nicht. Und das ist ja auch nur logisch. Als man das Internet als Nutzer das erste Mal erlebte, gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass es ein ständiger Begleiter im Leben werden würde. Aber wer mit der logischen und richtigen Vision Geld verdienen will, der muss eben auch erkennen, welche Unternehmen am Ende die Gewinner einer Branche sein werden und wie schnell die Vision aufgehen wird. Nur wer hier eine realistische Einschätzung hat, kann abschätzen, wie die Wachstumsraten in der Zukunft aussehen und sich dementsprechend die Gewinne entwickeln. Nur wer auch hier richtig liegt, zahlt dann nicht zu viel für Aktien. Aber das ist ein hartes Stück Arbeit und manchmal aufgrund von zu großen Unsicherheitsfaktoren kaum möglich. Und so setzen Anleger häufig lieber auf das Momentum und kaufen Aktien, die schon stark gestiegen sind, in der Hoffnung, dass sich ein Dümmerer findet, der einen noch höheren Preis bezahlt. Das eben ist dann das Gegenteil von Value-Investing. Kurzfristig können solche Anleger viel besser abschneiden. Wer auf Tesla in den letzten Jahren gewettet hat, gehörte zu diesen Gewinnern, langfristig ist eine solche Strategie aber nicht vielversprechend, denn irgendwann wird man derjenige sein, der keinen Dümmeren mehr findet.
 
Die Aktien mancher Internetversender sind in diesem Jahr jedoch so stark zurückgekommen, dass sie zumindest einen Blick aus der Perspektive des Value-Investors wert sind.