Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Seit der Pleite der Silicon Valley Bank wurde ich immer wieder gefragt, ob ich denn für den 22. März immer noch mit einer Zinserhöhung rechnen würde. Andere wie beispielsweise Goldman Sachs waren von ihrer vorherigen Prognose abgewichen und rechneten mit keinem Zinsschritt mehr zumindest für dieses Datum. Das war für mich nicht nachvollziehbar. Für mich wäre es vollkommen unverständlich gewesen, wenn die US-Notenbank tatsächlich auf den Zinsschritt nach oben verzichtet hätte. Natürlich, wir kennen alle aus den letzten Jahrzehnten den Reflex der US-Notenbank auf Krisensituationen im Finanzsektor. Das Prinzip war stets: Zinsen runter, Liquidität ins System. Doch die Situation ist diesmal eine andere, das wird teilweise übersehen.
Bankenrettung ist kein Selbstzweck
Offenbar haben viele mit dem üblichen Reflex gerechnet, ohne zu erkennen, was die eigentliche Motivation einer Notenbank ist, Banken zu retten. Man mag „denen da oben“ ja immer viel zutrauen – und hier beziehen wir die Notenbank mal mit ein, aber Banken zu retten ist auch für sie kein Selbstzweck. Wenn Banken gerettet werden oder das gesamte Banksystem eben durch eine lockere Zinspolitik unterstützt werden, dann geht es immer darum, die realwirtschaftlichen Auswirkungen zu begrenzen. Banken sind sehr entscheidend dafür, dass eine Wirtschaft läuft, weil sie für einen großen Teil der Finanzierung von Unternehmen, aber auch von Bürgern, die eine Immobilie kaufen wollen, verantwortlich sind. Fallen sie aus, werden Investitionen nicht getätigt und Häuser nicht gebaut. Die Folge kann dann schnell eine Rezession sein.
Auch Rezessionen zu bekämpfen, ist kein Selbstzweck
So weit, so logisch. Und in der Tat werden nun auch die Prognosen für das Wirtschaftswachstum zurückgenommen – unter anderem wieder von Goldman Sachs und hier wahrscheinlich richtigerweise. Denn ein Wegfall eines Teils der kleinen Banken hätte eine Verringerung der Kreditvergabe zur Folge. Also Banken retten, um der Banken willen, sicher nicht. Aber wenn sich damit eine Rezession verhindern lässt, rechtfertigt es dann doch eine Änderung der Zinspolitik? Auch das entspricht dem üblichen Reflex, ist so aktuell aber auch nicht richtig. Denn auch Rezessionen zu bekämpfen, ist kein Selbstzweck. Rezessionen werden aus einem einzigen Grund bekämpft, nämlich um Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Das ist unangenehm für jeden, der seinen Arbeitsplatz verliert und es gefährdet den sozialen Frieden. Nur hier ist die Situation eben jetzt eine andere als in all den vergangenen Jahren. Denn wir erleben eine Wirtschaft, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, die sich erkennbar abschwächt, aber keinerlei Anzeichen einer Schwäche am Arbeitsmarkt zeigt. Was bisher an Entlassungen angekündigt wurde, ist nur wünschenswert und kann hier und da den Mangel an Fachkräften beseitigen. Noch immer kommen auf zwei offene Stellen in USA ein Arbeitsloser.
Bei den Preisen drückt der Schuh
Die Menschen sind also nicht von Arbeitslosigkeit bedroht, sondern können sich mit dem Lohn ihres derzeit doch ziemlich sicheren Arbeitsplatzes die steigenden Preise kaum mehr leisten. Kurzum: Der Schuh drückt diesmal woanders: nicht bei der Angst um den Arbeitsplatz, sondern bei der Inflation. In einer solchen Situation kann die US-Notenbank sich voll auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren. Banken kann man mit partiellen Eingriffen retten.
Doch selbst das wird man wahrscheinlich nicht tun, sondern wie bei der Silicon Valley Bank nur die Einlagen der Kunden garantieren. Die Zinssenkungshoffnungen, die auch der Markt schon wieder eingepreist hat, sind damit vollkommen verfrüht. Das wurde mit der Zinsentscheidung am 22. März deutlich und wird in den kommenden Monaten weiter erkennbar werden. Wenn es in die Köpfe aller durchsickert, könnte das schon zu deutlichen Enttäuschungen an den Märkten führen.