Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Kutzers Zwischenruf: Verdrängt die Inflation der Inflationsdiskussion!
Sie nervt – die pausenlos anhaltende Diskussion über Inflation und Zinsen. Klar, es ist seit Wochen das beherrschende Thema in den Köpfen der Profis und auf dem Börsenparkett. Welch entscheidende Rolle die monetäre Notenbankpolitik für uns alle spielt, weiß doch jeder. Das gilt umso mehr, je näher ein Kurswechsel der Währungshüter (angeführt von den USA) spielt. Trotzdem: Mittlerweile gibt es täglich neue oder zumindest veränderte Prognosen zur weiteren Inflationsentwicklung und den damit verbundenen Zinsschritten von Fed und EZB. Die Inflation ist zum einem inflationären Diskussionsthema an den Märkten und in ihrem Umfeld geworden. Und das bedeutet, sie verliert an Wert.
Angesichts der ins Kraut schießenden Zinsfantasien in der Euro-Zone hat EZB-Chefin Christine Lagarde Inflationssorgen gedämpft, melden die Agenturen. Die Chancen seien gestiegen, dass sich die Teuerungsrate mittelfristig um den EZB-Zielwert von 2,0 Prozent stabilisieren werde, betonte die Französin bei einer Anhörung vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments. Es gebe keine Signale, dass sich die Inflation auf mittlere Sicht hartnäckig und deutlich über der Zielmarke festsetzen werde, was eine nennenswerte Straffung der Geldpolitik erfordern würde. Vielmehr könne man von einer Normalisierung der bislang lockeren Linie ausgehen. Aha, eine Entwarnung. Aber bleibt es dabei?
Was die Profis aktuell denken, lässt sich aus einer Befragung der DVFA ablesen: Der Verband der Investment Professionals wollte von seinen Mitgliedern wissen, mit welcher weiteren Inflationsentwicklung sie im Euro-Raum rechnen, wie die Europäische Notenbank aus ihrer Sicht reagieren wird und welche Ursachen der rapide Anstieg der Teuerungsrate hat. 41 % der Teilnehmer geben an, von der Preisentwicklung im vergangenen Jahr überrascht worden zu sein, 56 % dagegen nicht. In den Kommentaren zeigt sich jedoch, dass etliche DVFA-Mitglieder vom grundsätzlichen Anstieg der Teuerungsrate nicht überrascht waren, aufgrund der expansiven Geldpolitik der Notenbanken und der damit verbundenen enorm hohen Liquidität, wohl jedoch vom Ausmaß des Preisanstiegs in der Kürze der Zeit. Entscheidende Einflussfaktoren auf die Dauerhaftigkeit der momentanen Inflationsentwicklung, heißt es in den Kommentaren, seien die künftige Lohnentwicklung, die Klimapolitik und die Entscheidungen der Zentralbanken. Daneben werden als preistreibend auch der Rückbau globaler Lieferketten und steigende ESG-Anforderungen genannt.
Die Mehrzahl der an der Befragung teilnehmenden Mitglieder vertritt die Auffassung, dass die aktuelle Inflation kein kurzfristiges Phänomen ist, welches sich selbst heilt und korrigiert. Es gibt handfeste Ursachen, die klassisch geldpolitisch zu adressieren und zu bekämpfen sind, erläutert der Verband. Dennoch argumentieren die Investment Professionals hinsichtlich der erwartbaren Höhe der Zinsanhebungen mit einem vorsichtigen Realitätssinn für das wohl Machbare: Insbesondere die Dominanz der fiskalischen Verschuldung limitiert die Spielräume. Wichtiger erscheint den Profis hier das Zurückfahren der Wertpapierkäufe im Rahmen der Quantitativen Lockerung.
Bei aller Bedeutung von Inflation und Zinsen sollten Sie nicht vergessen, geschätzte Anleger, dass es auch andere Wirtschaftsdaten zu berücksichtigen gilt. In erster Linie natürlich die fundamentalen Indikatoren zur konjunkturellen und Unternehmensentwicklung. Wenn Sie nicht kurzfristig traden oder spekulieren wollen, dann gehört auch das zeitweise Abwarten & Zuschauen zu den Alternativen. Wie groß die Unsicherheit momentan ist, zeigt ein Blick auf die täglichen Charts – auf denen der Dax offensichtlich ziellos herumirrt.