Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Kutzers Zwischenruf: Setzen Sie lieber aufs nächste Jahr
Was beschert uns das letzte Quartal? Ich habe keine verlässliche Antwort, nur ein ungutes Bauchgefühl. Corona ist noch nicht überwunden und bleibt unberechenbar. Die Inflation verunsichert (unterstützt von Panikmeldungen in populären Medien) die Bevölkerung zusehends. Das könnte die Notenbanken früher als beabsichtigt zu einem Kurswechsel zwingen. Und konjunkturell läuft es momentan nicht mehr so gut. Abgesehen davon droht uns ein Wahlergebnis, das keine zügige Regierungsbildung erlaubt. Und die nächste Koalition – mit welchen Farben auch immer – hat dann zeitaufwendigen Verhandlungsbedarf, um die notwenigen Kompromisse beschließen zu können.
Unterm Strich wird nur eines klar: Es gibt reichlich Unsicherheitspotential, das in den kommenden Wochen und Monaten auch die Börsen beeindrucken kann. Schon jetzt spiegelt sich diese Aussicht in den nach unten revidierten Konjunkturprognosen für 2021 der Verbände und Forschungsinstitute nieder. Sie machen aber zugleich unisono Hoffnung fürs nächste Jahr. Darauf können Sie sich einstellen, geschätzte Anleger.
Auf europäischer Ebene kam heute die Meldung, dass der Aufschwung in der Euro-Zone im September unerwartet kräftig an Schwung verloren hat. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft (Industrie und Dienstleister zusammen) ist stärker als erwartet gefallen, aber noch im Wachstumsbereich geblieben. Vorher schon hatte das Ifo-Institut für Deutschland seine Wachstumsprognose 2021 um 0,8 Prozentpunkte gekappt und für 2022 um 0,8 Prozentpunkte erhöht. Tenor: Die ursprünglich für den Sommer erwartete kräftige Erholung nach Corona verschiebt sich weiter.
Mehrere ähnlich klingende Aussagen sind jetzt dazugekommen. Soi erwarten die Chefvolkswirte der privaten Banken in Deutschland für dieses Jahr mit 3,3 Prozent ein um 0,5 Punkte niedrigeres Wachstum als noch im Frühjahr prognostiziert. Die Aussichten für das kommende Jahr werden dagegen nach oben korrigiert (+0,5 Punkte höher auf 4,6 Prozent). Das IfW-Institut senkt seine Konjunkturprognose für Deutschland 2021 massiv – rechnet dafür aber ebenfalls im nächsten Jahr mit mehr Schwung. Motto: Der Aufholprozess bleibt intakt, bekommt jedoch über das Winterhalbjahr eine Delle. Für 2021 gehen die Kieler Ökonomen nur noch von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,6 Prozent aus, bislang hatten sie 3,9 Prozent auf dem Zettel. 2022 dürfte es dann mit + 5,1 Prozent stärker bergauf gehen als bisher mit + 4,8 Prozent gedacht.
Etwas optimistischer sind die Experten von Prognos, die davon ausgehen, dass die deutsche Volkswirtschaft 2021 um 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr wächst und im kommenden Jahr um 4,3 Prozent zulegt. Man erwartet, dass gut zwei Drittel der gesamtwirtschaftlichen Verluste aus 2020 im laufenden Jahr wieder wettgemacht werden können. 2022 soll die Wirtschaftsleistung wieder höher ausfallen als vor der Krise.
Mittelfristig orientierte Anleger, die auf die Entwicklung der Aktien in ein paar Monaten bis etwa zwei Jahre setzen wollen, können also schwächere kurzfristige Kurse nutzen, um auf einen guten Jahrgang 2022 zu setzen. Die Gelegenheit dazu wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit im vierten Quartal geben.