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Deutschland ist Deglobalisierungsverlierer Nummer eins -Gastkommentar Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

 

Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”

Neu geleakte Dokumente über die Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang führen ein weiteres Mal vor Augen, in welch schwieriger Situation sich Deutschland und seine Unternehmen in China aktuell befinden. Noch läuft das Geschäft, aber man kann nicht die Augen davor verschließen, dass es damit auch schnell vorbei sein könnte. Während unsere Politiker die Vorgänge zu Recht kritisieren und Finanzminister Christian Lindner eine Differenzierung unserer Geschäftsbeziehungen fordert, haben VW und BMW bereits verlauten lassen, dass sie ihre Werke in der besagten Provinz weiter betreiben werden. Das tun sie nicht etwa, weil sie auf die Kapazitäten dort dringend angewiesen wären. Derzeit kann wegen des Halbleitermangels ja ohnehin nicht unter Volllast produziert werden. Nein, BMW und VW fürchten sehr zu Recht, dass sie ihr gesamtes Chinageschäft verlieren könnten, würden Sie diesen Schritt unternehmen. H&M hat dies durch Boykottaufrufe bereits hart vorgeführt bekommen. Die Chinesen reagieren empfindlich und verbitten sich eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.
 
China ist nicht Russland
Wegen Russlands Angriff auf die Ukraine haben viele Unternehmen im Westen einschließlich der deutschen ihr Russland-Geschäft eingestellt. Das stellte kein großes Problem dar, weil Russland als Markt, abgesehen von ein paar Unternehmen wie beispielsweise dem Schokoladenhersteller Ritter Sport, ziemlich unbedeutend ist. Der Umsatzwegfall ist global betrachtet verschmerzbar. Ganz anders sieht es jedoch mit China aus. Von hier kamen in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten die großen Wachstumsraten für die deutsche Automobilindustrie, viele Maschinenbauer und auch die chemische Industrie. Für VW ist China längst der wichtigste Absatzmarkt geworden. Das macht deutlich, vor welchem Abstieg Deutschland stünde, würde der Konflikt mit China eskalieren und beide Seiten ihre Geschäftsbeziehungen herunterfahren. Kein Land hat sich so abhängig von China gemacht wie Deutschland. Ein Wegfall des Marktes hätte katastrophale Folgen. Würde China zum Beispiel in Taiwan einmarschieren, wäre dieser Punkt wahrscheinlich erreicht. Deutschland könnte wohl kaum aus dem Reigen der westlichen Staaten ausscheren.
 
Dem Westen fehlen die Druckmittel gegenüber China
Nun ist der Westen als Absatzmarkt ebenfalls von extremer Bedeutung für China. Das Wachstum im Riesenreich und der Anstieg des Wohlstands der breiten Bevölkerung basiert zu einem großen Teil auf dem Export. Man könnte denken, der Westen müsste nur mit entsprechenden Vergeltungsmaßnahmen drohen und die Chinesen sollten klein beigeben. Doch so einfach ist dies nicht. China ist bereits heute der größte Maschinenbauhersteller und auch gerade im Zuge der Umstellung auf die Elektromobilität kann das Land diverse eigene Automobilhersteller aufbieten. Die Abhängigkeit von westlichen Produkten, abgesehen von ein paar wenigen Schlüsseltechnologien, ist gering. Wir hingegen sind enorm abhängig von der Zulieferung chinesischer Produkte. 80 Prozent der deutschen Unternehmen benötigen Vorprodukte aus China. Die Pandemie hat uns vorgeführt, dass wir uns selbst bei Medikamenten wie Antibiotika vom Riesenreich abhängig gemacht haben. Bei einem Vortrag vor Studenten sagte EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager jüngst: “Stellen Sie sich vor, alle Dinge in diesem Raum, die außerhalb Europas produziert wurden, wären auf einmal weg. Wir würden aussehen, als hätten wir eine Runde Strip-Poker gespielt.” Allerdings, so bemerkte sie weiter, würde das ganze dort im Raum bleiben, weil die Kameras in den Handys ebenfalls nicht vorhanden wären, denn auch sie kämen ja aus China.
 
Die Entflechtung Chinas und des Westens hinterlässt schon heute Spuren an den Finanzmärkten
Wer überlegt, in deutsche Aktien zu investieren, der muss genau analysieren, wie abhängig diese vom Absatzmarkt China und gleichzeitig von der Zulieferung chinesischer Produkte sind. Diese Unternehmen bergen ein hohes Risiko. Es ist absehbar, dass die Entflechtung Chinas und der westlichen Welt weitergeht. Wir wissen nur nicht, ob die Zeit bleibt, sich Schritt für Schritt voneinander unabhängig zu machen, oder ob es schockartig kommt wegen eines Ereignisses wie beispielsweise einer Invasion in Taiwan. Schon heute dürften wir allerdings Auswirkungen an den Finanzmärkten gesehen haben. Natürlich ist den Chinesen nicht entgangen, wie der Westen mit russischen Vermögen umgeht, und zwar nicht nur dem der Oligarchen, sondern auch des russischen Staates. Währungsreserven werden eingefroren und sollen möglicherweise sogar Verwendung für den Wiederaufbau der Ukraine finden. Der größte Besitzer von US-Staatsanleihen ist China. Wenig überraschend stand deren Zentralbank in den vergangenen Wochen bereits auf der Verkäuferseite. Dies wirkt genauso wie ein Quantitativ Tightening, wie es die US-Notenbank jetzt begonnen hat. Wer die Anleihen auf den Markt schmeißt, ist egal. Jeder Verkauf saugt Liquidität aus dem Markt, die dann für Aktien nicht mehr zur Verfügung steht. Fraglos spricht vieles aufgrund der extrem schlechten Stimmung für eine Erholungsrallye. Aber man muss schon eingestehen, dass das Umfeld von erheblichen Risiken behaftet ist, wohl stärker als je in den vergangenen 40 Jahren. In den 1970er Jahren war es ein wenig vergleichbar. Da hatte die OPEC die westliche Welt mit dem Diktat des Ölpreises im Griff. Durch Energieeinsparungen, dem Offshore-Öl und alternativen Energiequellen, konnte der Westen die Macht der OPEC irgendwann jedoch brechen. Hoffen wir, dass dies in Bezug auf China auch gelingt, bevor wir in eine schwere Wirtschaftskrise rutschen.