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Kutzers Zwischenruf: Inflation, Zinsen und Euro halten uns weiter in Atem

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Nein, vor uns liegen keine ruhigen Herbst-Winter-Monate. Es bleibt spannend – und gefährlich! Wer mit einem Ohr die heutige Bundestagsdebatte verfolgt hat und anschließend die spontanen Reaktionen auf den EZB-Zinsschritt, konnte einen eher skeptischen Eindruck von den kurz- bis mittelfristigen Aussichten für Wirtschaft und Börse gewinnen. Zynisch formuliert: Inflation und Zinsen werden weiter steigen, Anleihen- und Aktienkurse werden dann fallen. Und der Euro bleibt labil. All das vor dem Hintergrund des anhaltenden Ukraine-Kriegs, der Energiekrise, einer beginnenden Rezession in Europa und der Ungewissheit über die Entwicklung der Pandemie.

Seit Tagen mehren sich die miesen Lageberichte aus der deutschen Wirtschaft. Die Prognosen klingen noch schlechter. Woher soll da noch 2022 die Wende zum Besseren kommen? Die EZB hat die Zinsen um 75 Basispunkte angehoben und sich damit zum größten Zinsschritt ihrer Geschichte durchgerungen. Die Entscheidung hatte sich seit einigen Tagen angebahnt, denn angesichts der trabenden („galoppierenden“ wäre überzeichnet) Inflationsraten war im EZB-Rat das Lager der Tauben immer kleiner geworden. Gleichzeitig hat die Notenbank für die kommenden Meetings weitere Zinserhöhungen angekündigt, abhängig von der Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds. Nicht einmal mehr die EZB selbst erwartet auf mittlere Sicht das Erreichen ihres Inflationsziels von 2 Prozent.

Die außergewöhnlich hohe Leitzinsanhebung wird von Frankfurter Bankern begrüßt und zugleich kritisiert: Sie kommt aber zu spät, denn die Wirtschaft des Euroraums befindet sich bereits auf dem Weg in die Rezession. „Der große Zinsschritt war unausweichlich“, schreibt ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Angesichts einer vermutlich bald zweistelligen Inflationsrate in der Euro-Zone mussten auch die Tauben im Rat den Widerstand gegen starke Zinserhöhungen aufgeben. Der Ansehensverlust der EZB nach ihren eklatanten Inflations-Fehlprognosen wird besonders durch die steigenden Inflationserwartungen der Finanzprofis deutlich. Hier muss die EZB durch einen straffen Kurs nun neue Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Positiver klingt die spontane Stellungnahme von Ifo-Präsident Clemens Fuest: „Besser spät als nie. Die 0,75 Prozent sind ein richtiger Schritt.

Dennoch bleibt die Geldpolitik sehr expansiv. In den nächsten Monaten werden weitere Zinserhöhungen folgen müssen. Die Zinsen sind nach wie vor sehr niedrig, und die Inflationserwartungen der privaten Haushalte steigen immer weiter an. Die EZB hat noch nicht begonnen, den Bestand an gekauften Staatsanleihen abzubauen. Auslaufende Anleihen werden durch neue ersetzt. Es ist wichtig, dass die von der EZB angekündigten weiteren Zinsschritte tatsächlich bald kommen. Den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik wegen der Aussicht auf einen Konjunkturabschwung zu verschieben, würde die Kosten der Inflationsbekämpfung nur steigern.

Außerdem ist der Abschwung vor allem durch Angebotsverknappung verursacht, deshalb ist es richtig, dass die EZB die Nachfrage dämpft. Und noch eine Stimme aus dem Lager der Betroffenen. Eindeutig kritisch ist die Reaktion von Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmer: „Die heute verkündete Zinserhöhung zeugt davon, dass die EZB ein Opfer ihrer seit langem falschen Geldpolitik ist. Sie hat den Flächenbrand der Inflation nicht kommen sehen und die Gefahr noch vor wenigen Monaten generell verneint. Jetzt bleibt ihr nichts anderes mehr übrig, als in die drohende Rezession hinein mit höheren Zinsen die Konjunktur weiter zu bremsen.“