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Börsenwissen: Sentiment

Ein Kommentar von Carsten Witt, stellv. Geschäftsführer des NDAC-Anlegerclubs
 

Die Stimmung an den Börsen kann man einschätzen und daraus können Anleger ihre persönlichen Schlussfolgerungen ziehen.

Dafür steht im Englischen der Begriff Sentiment. Der Begriff Sentiment steht für die psychologische Stimmungslage, und mithilfe der Sentimenttechnik wird versucht, die vorherrschende Stimmung an den Börsen auszuloten. Damit kann herausgefunden werden, ob sich Trends noch im Frühstadium oder bereits in der Endphase befinden.

Anwendungen für Sentimentanalysen gibt es viele, denken wir beispielsweise an das riesige Feld der Marktforschung oder in der Politik an die Wahlumfragen.

Wir sind Aktionäre und beschränken uns im Folgenden auf die Börse.

 
99 Prozent der Börse sind Psychologie und darum ist das Wissen um psychologische Zusammenhänge für eine erfolgreiche Anlage sehr wichtig.

Stellen wir uns einen Bullenmarkt vor. Bei hohem vorherrschendem Optimismus ist das Gros der Marktteilnehmer schon engagiert und fällt folglich als Nachfrager, welche die Kurse noch weiter nach oben treiben könnten, aus.

Umgekehrt kann bei anhaltend schlechter Stimmung, die häufig in einer Paniksituation endet, davon ausgegangen werden, dass nur noch wenige Akteure investiert sind. Der Verkaufsdruck ebbt mit der Zeit zunehmend ab und Überraschungen auf der Oberseite werden wieder wahrscheinlich, wenn die Anleger zurückkehren.

Zu Zeiten der Internet-Blase im Jahr 2000 beispielsweise war die allgemeine Marktstimmung sehr euphorisch und als 2003 das Jahrhunderttief markiert wurde, herrschte Panik. Genau das Gleiche erlebten wir beim Zusammenbruch von Lehman Brothers und der damit 2008 ausgelösten Weltfinanzkrise, deren Auswirkungen sich bis heute noch hinziehen. Und auch aktuell ist die Stimmung nicht sehr gut an den Märkten. Das hängt zusammen mit der politischen Weltlage, Lieferkettenprobleme steigender Verschuldung und Inflation und damit verbundenen Rezessionsängsten. Wir sehen hieran, es kann ein Faktor sein, der die Stimmung prägt, aber meist ist es Mix aus verschiedenen Faktoren.   

Anleger sind daher gut beraten, skeptisch zu sein, wenn sich die Aktienmärkte in Hochstimmung befinden und optimistisch, wenn die Marktakteure pessimistisch sind. Wir sind darauf schon einmal in den Beiträgen über die „Börsenweisheiten“ eingegangen.

Soweit ist alles klar, aber wann ist der Markt euphorisch und wann ist er pessimistisch gestimmt? Um das herauszufinden nutzt das Sentiment verschiedene Indikatoren, um die Stimmung exakt zu messen.

Dazu müssen wir uns zunächst in das Reich der Optionsscheine begeben. Hier finden wir die Begriffe „Put“ und „Call“. Und ohne jetzt auf die verschiedenen und mitunter meist recht komplizierten Merkmale dieser Derivate einzugehen, merken wir uns vor, Put-OS bedeutet das Recht zu verkaufen und der Call-OS zu kaufen. Beide Rechte beinhalten einen bestimmten Preis und eine bestimmte Frist für den Kauf einer Aktie.

Am bekanntesten ist die Put-Call-Ratio, die sich als Quotient aus der Anzahl der gehandelten Puts durch die Anzahl der gehandelten Calls ergibt. Wenn mehr Puts als Calls gehandelt werden, zeigt dies einen hohen Absicherungsbedarf der Marktteilnehmer an und indiziert, dass Anleger hinsichtlich der weiteren Entwicklung skeptisch sind. Sofern mehr Calls als Puts gehandelt werden, sind Anleger risikobereiter. Werte über 1 (deutlich mehr Puts als Calls) sollten Anleger daher formal optimistisch stimmen, während Werte unter 1 (deutlich mehr Calls als Puts) tendenziell negativ zu werten sind.

Ein weiterer Indikator ist der VIX.

Beim VIX handelt es sich um einen Index zur Messung der impliziten Volatilität. Dieser Index wird vom Chicago Board of Options Exchange veröffentlicht. Dabei misst der Index die implizite Volatilität der „at the money“ Strike Preis Optionen des S&P 500 Index (Hinweis: Mit dem Ausdruck implizite Volatilität bezeichnet man also die Schätzung des Marktes, in wie weit sich der S&P 500 Index in einer vorgegebenen Zeitspanne vom Kurs her bewegen könnte).

Je höher der VIX steht, desto mehr Marktteilnehmer erwarten, dass der S&P 500 sich bewegen wird. Das wiederum ist ein Spiegelbild der Angst. Wenn der VIX auf historisch niedrigen Levels ist, dann herrscht weitgehend Sorglosigkeit. Aktuell steht der VIX bei 19,90 Punkten mit steigender Tendenz. Wir hatten vor den Ereignissen in Nahost bereits einen Stand von unter 10 Punkten erreicht. Wenn wir uns den Jahreschart des VIX anschauen, gab es im Oktober 2022 eine noch größere Angststimmung mit 31,93 Punkten. Noch im September wurde der VIX mit 12,68 ausgewiesen.

Nur noch erwähnen möchten wir den RSI-Indikator als weiteren Indikator. Der Relative Strength index (RSI) ist ein technischer Indikator, der von J. Welles Wilder konzipiert wurde. Er misst die Geschwindigkeit und den Umfang von Preisbewegungen und zeigt damit das Sentiment auf in puncto Überkauftheit bzw. Überverkauftheit eines Preises. Wilder definierte dabei RSI Stände von über 70 als überkauft, während er Stände unter 30 als überverkauft festlegte.

Während die Charttechnik und Markttechnik eindeutige Signale liefern, bilden sentimenttechnische Indikatoren lediglich die vorherrschende Stimmungslage ab. Diese müssen allerdings nach dem Erreichen von Extrempunkten keineswegs zu einer Trendumkehr an der Börse führen. Denn gerade in Phasen überschäumender Kurseuphorie oder in einer langwierigen Baisse können anhaltende Übertreibungen den vorherrschenden Trend weiter ausreizen, bevor die nachhaltige Wende einsetzt. Daher empfiehlt sich stets eine Abstimmung mit der Charttechnik, Markttechnik und auch der Zyklen-Analyse vorzunehmen. Und ihr Autor möchte hinzufügen, Kenntnisse in der Fundamentalanalyse und der gesunde Menschenverstand können auch helfen, bestimmte Markteinschätzungen vorzunehmen.