Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Wer weiß wirklich, was Sache ist? Angesichts der widersprüchlichen Meldungen und Kommentare sowie der in hohem Maße Unsicherheit ausstrahlenden Kursentwicklung schrecken viele Anleger vor neuen Börsenengagements zurück. Erst einmal.
Das Lager der Anlageberater ist gespalten. Die einen warnen vor weiterem Kursverfall am Aktienmarkt, während andere wieder Mut machen und mittelfristig (im Verlauf des kommenden Jahres) einen Aufwärtstrend von Wirtschaft und Börse in Aussicht stellen. Wer wird recht behalten?
Natürlich haben beide Seiten Argumente. Dennoch bleibt eine Festlegung zu Beginn des dritten Quartals hochgradig spekulativ, gibt es doch nach wie vor zu viele Unbekannte, die Bullen und Bären überzeugen können.
Ausschlaggebend ist und bleibt die monetäre Entwicklung in Verbindung mit der (verlorengegangenen) Geldwertstabilität. Inflation und Notenbankzinsen beherrschen börsentäglich die Diskussionen der Fachwelt. Der kaum fassbare Anstieg unserer Verbraucherpreise von 10 Prozent wurde jetzt bestätigt (Stand September). Das letzte Mal war die Inflation in Deutschland 1951 zweistellig. Die Bundesregierung rechnet mit einer Inflationsrate von 8,0 Prozent im laufenden Jahr und von 7,0 Prozent im kommenden Jahr. Inflationsraten auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie.
Heute wurden auch die US-Inflationsdaten veröffentlicht: Im Vergleich zum Vorjahr stieg dort die Teuerung im September um 8,2 Prozent (Prognose: 8,1 Prozent), im Vergleich zum Vormonat um 0,4 Prozent (Prognose: 0,2 Prozent). Im August lag die Inflation bei 8,3 Prozent. Also nur ein minimaler Rückgang.
Alle Zahlen können analytisch zerpflückt werden. Und auch noch so erfahrene Börsenstrategen können angesichts der beispiellosen Fülle von gravierenden Krisen und Unsicherheitsfaktoren nur mit Vorbehalten nach vorn blicken. Nicht einmal die Währungshüter selbst sind sich ihrer Sache sicher.
Extreme Kursschwankungen (selbst im Tagesverlauf) spiegeln die Orientierungsprobleme wider. Insofern ist die Volatilität an sich nicht negativ zu bewerten. Auch wenn momentan vieles dagegenspricht – vielleicht sieht das Bild 2023/24 tatsächlich wieder freundlicher aus. Wer von Ihnen darauf setzen will, geschätzte Anleger, hat jetzt reichlich Gelegenheit, entsprechende Positionen aufzubauen.