
Nicht überraschend war der überwältigende Wahlsieg in Großbritannien. Die Labour Party unter Keir Starmer gewann eine überzeugende Mehrheit im altehrwürdigen britischen Parlament.
Die Regierungsbildung ging schnell, denn im Gegensatz zu anderen Staaten braucht es keine Koalitionsverhandlung und die endlose Suche nach einem kompromissfähigen Koalitionsvertrag, der die Regierungsbildung und anschließende Arbeit wochenlang aufhält, entfällt. Der Vorteil eines relativen Mehrheitswahlrechts, wonach derjenige, der die meisten Stimmen in einem Wahlkreis erhält, den Wahlkreis im Parlament vertritt. Sollte der gewählte Abgeordnete aus irgendeinem Grund ausfallen, gibt es eine Nachwahl in dem Kreis.
Sehr viele Politiker und Ökonomen außerhalb Großbritannien zeigten sich begeistert über den Wahlsieg von Labour. Die ganz leise Hoffnung auf einen Re-Brexit schwang in den Äußerungen mit. Aber daraus wird wohl nichts. Das Vereinigte Königreich wird sich zwar der EU wieder annähern, aber nicht der EU wieder beitreten. Das machte der neue Premierminister Keir Starmer nach seinem Wahlsieg deutlich.
Am 31. Januar 2020 war Großbritannien nach 47 Jahren aus der EU ausgetreten. Inzwischen dämmert immer mehr Menschen, dass der Brexit nicht das von seinen Befürwortern versprochene wirtschaftliche Erfolgsrezept ist. Umfragen zeigen, dass inzwischen eine Mehrheit der Briten den Brexit nicht nur für einen Fehler hält, sondern einen Wiedereintritt befürwortet. In der politischen Debatte ist eine mögliche EU-Rückkehr, wie schon gesagt, derzeit kein Thema.
Nach Meinung ihres Autors hängt das mit den Regularien der EU zusammen. Die Briten würden wohl bei einem erneuten Eintritt keinen Beitragsrabatt mehr heraushandeln können, wie seinerzeit die Eiserne Lady Margret Thatcher. Und ein großer Teil der britischen Bevölkerung sieht sich noch als das Zentrum eines Weltreiches, zumindest eines politischen Weltreiches. Das Commonwealth of Nations wird immer lockerer, immer weniger bedeutsam.
Aber wirtschaftlich sieht Großbritannien leider nicht so sehr wie ein Zentrum eines Weltreiches aus. Ehrlich gesagt, wir müssen doch schon eine Weile überlegen, welche Produkte von der Insel für uns wichtig sind. Richtig, verschiedene Produkte kommen aus Großbritannien. Dazu gehören Automobilteile, Unterhaltungselektronik, Textilien, handwerkliche Gegenstände, Nahrungsmittel, Kosmetika und vieles mehr. Es gibt auch einige bekannte Marken, die aus Großbritannien stammen, wie z.B. Burberry, Jaguar, Rolls-Royce und Twinings.
Nachdem die EU-Regeln nach einer Übergangsfrist gefallen waren, hatte Kanada hohe Importzölle auf britische Erzeugnisse wie Käse und Autos erhoben. Vier Jahre nach dem Brexit hat das Vereinigte Königreich bilaterale Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland geschlossen und ist dem Pazifikpakt CPTTP beigetreten. Insgesamt ist das eine magere Ausbeute, erläutert Thomas Sampson, Wirtschaftswissenschaftler an der London School of Economics.
Wenn wir uns die Exportstatistik auf dem Portal Statista anschauen, dann sehen wir, auf Platz eins liegt Gold (zu nicht monetären Zwecken) mit 13,1 Prozent und Straßenfahrzeuge sind mit einem Exportanteil mit 9,47 Prozent die zweitwichtigste Warengruppe im Export Großbritanniens. Kraftmaschinen und deren Ausrüstungen folgen mit 9,31 Prozent auf Platz drei noch vor Erdöl und Erdölerzeugnisse mit 7,15 Prozent. Und einen relativ kleinen Anteil nehmen die pharmazeutischen Erzeugnisse mit 5,85 Prozent ein. Also alles keine Erzeugnisse , die die Kunden nicht auch auf dem Weltmarkt findet.
Nicht besser als aktuell in Deutschland sieht die Entwicklung des britischen BIP aus. Im Jahr 2023 hat das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Großbritannien geschätzt rund 0,1 Prozent betragen. Für das Jahr 2024 wird das Wachstum auf rund 0,5 Prozent prognostiziert.
Wir sehen, die Wirtschaft muss auf beiden Seiten wieder angekurbelt werden.
Mehr Europa und eine Verbesserung der Beziehung zu Europa dürfte der Wirtschaft auf beiden Seiten helfen. Durch neue Abkommen zum Beispiel oder, weil Brexit bedingte Formalitäten abbaut.
Am meisten profitieren wird von der Annäherung die Finanzindustrie. Für sie ist der Sieg der Arbeiterpartei eine Erleichterung. Denn der Brexit hat Londons Stellung als Finanzplatz Nummer 1 in Europa ins Wanken gebracht: weil Banken, Versicherer, Fondsgesellschaften keine Dienstleistungen mehr aus London in die EU verkaufen durften, sie deshalb neue Büros in der EU aufgemacht haben und Tausende Mitarbeiter mit umgezogen sind. Mehr Nähe zu Europa dürfte den Finanzplatz London deshalb wieder aufwerten. Allerdings, die frühere Bedeutung von London als Finanzzentrum dürfte wohl nicht mehr so schnell wiederkommen.
Keir Starmer, der neue Premierminister Großbritanniens, ist europafreundlich. Er werde dafür sorgen, dass die früheren Spannungen über die Umsetzung des Brexit, die es oft gab, in den Hintergrund treten, sagt der Chefökonom der Berenberg Bank, Holger Schmieding: “Ich denke, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland, beziehungsweise der gesamten Europäischen Union verbessern können. Ein Trend übrigens, der unter dem bisherigen Premierminister Rishi Sunak begonnen hatte.”
Sollte nun Kleinanleger wieder verstärkt in britische Aktien investieren? Wenn investierte Kleinanleger ihre Investitionen fortsetzen, ist das sicher nicht verkehrt. Anleger, die neu in Großbritannien nach Aktien schauen, sollten sich noch etwas mit Geduld wappnen. Zumindest so lange, bis die Brexit-Folgen durch konkrete Abkommen mit der EU abgemildert sind.
Die Wahl von Labour ist nur ein erster, aber kleiner Schritt in die richtige Richtung.