Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Im Corona-Aktienboom wurden vor allem die so genannten Neobroker bei den Anlegern populär. In den USA ist der bekannteste Anbieter Robin Hood und in Deutschland Trade Republic. Grundsätzlich war das eine begrüßenswerte Entwicklung, denn bekanntermaßen war es um die Aktienkultur in Deutschland nicht gut bestellt.
Seitdem hat sie sich zumindest verbessert. Die Neobroker werben damit, dass man bei ihnen gebührenfrei handeln kann. Das mag so sein, ist so manches Mal aber Augenwischerei, weil zu gewissen Zeiten die Spanne zwischen Geld- und Briefkurs doch sehr groß ist. Die Broker bestreiten ihre Einnahmen dadurch, dass sie den gesamten Orderflow an institutionelle Broker verkaufen, die diesen dann intern abwickeln, sozusagen als Ersatz für den Weg über die Börse.
Einladung zum Zocken
Das Argument „kostenlos“ verfängt in Deutschland immer und hat wohl den einen oder anderen überzeugt, mit einem Neobroker erstmals in den Aktienmarkt einzusteigen. Manche haben sich wohl gedacht, dass Privatanleger nun ähnlich gute Chancen hätten wie institutionelle. Es ist aber auch die einfache Bedienenbarkeit der Software, die gleich so konzipiert ist, vom Mobiltelefon aus bedient zu werden.
Das alles passt in die neue digitale Welt. Sowohl die Software mit der einfachen Bedienbarkeit immer und überall als auch die Gebührenfreiheit laden jedoch zum Zocken ein. Trade Republic hatte zwar eine sehr kreative Kampagne, in der für ETFs geworben wurde, aber ein Broker braucht Umsätze, um am Ende etwas zu verdienen. Anleger, die einen ETF für die nächsten zehn Jahre kaufen, nützen da wenig. Es braucht die Zocker, die am besten mehrmals am Tag hin und her handeln.
Unterm Strich Verluste, obwohl die Aktien deutlich höher notieren
Tatsächlich zeigt sich auch seit dem Corona-Aktienboom, dass trotz aller Komfortabilität einer mobilen Handelsplattformen, bei der man ja jederzeit und überall eingreifen kann, und das auch noch gebührenfrei, weiterhin der Satz gilt: Hin und her macht Taschen leer. Leider gibt es für Deutschland derartige Statistiken nicht, aber in den USA hat VandaTrack ausgerechnet, dass die Performance der Privatanleger seit Januar 2020 durchschnittlich knapp minus 30 Prozent beträgt. In der gleichen Zeit legte der S&P 500 Index hingegen 25 Prozent zu und der Nasdaq-Index sogar knapp 50 Prozent. Und waren es nicht die Technologiewerte, in denen die Privatanleger spekulierten?
Unbedingt zwei Depots führen
Die Konsequenz, die aus diesem Ergebnis zu ziehen wäre, ist sehr einfach. Man sollte sich gute Aktien oder Fonds, die diese beinhalten, auf lange Sicht hinlegen und am besten nicht mehr anschauen. Trading-App deinstallieren und fertig. Die Chance, hiermit die bessere Performance zu machen, als mit kurzfristigem Rein und Raus den Markt outzuperformen, liegt bei annähernd 100 Prozent. Die wenigsten dürften damit langfristig Erfolg haben. Investieren und nicht spekulieren, lautet das Credo!
Nun schreibt hier aber jemand, der seit seinem 17. Lebensjahr keine Nacht ohne spekulatives Engagement verbracht hat. Die Statistik ist das eine, die Emotionen sind das andere. Sieht man sich die hohen Scheidungsraten an, dann dürfte man demgemäß auch nicht mehr heiraten. Dennoch tun es viele, weil sie glauben, Diejenige oder Denjenigen welchen gefunden zu haben. Auch wenn es den meisten, die vor dem Altar stehen, am Ende auch nicht gelingt, man selbst bildet sich ein, es besser zu wissen.
So ist es auch an der Börse. Die Realität sieht dann aber für die meisten doch oft anders aus, sowohl beim Verlauf der Ehe als auch des Depots. Ich habe daher seit Ewigkeiten zwei Portfolios. Und das ist auch mein dringender Ratschlag an alle anderen Anleger, die sich auch zur Spekulation hingezogen fühlen. In einem, dem deutlich größeren, lege ich nur langfristig in Fonds mit dem Schwerpunkt Aktien an. Mit dem anderen spekuliere ich in allem, wo ich eine Idee für die Tendenz habe. Das kommt im Übrigen nicht oft vor, denn ich mache nur Dinge, von denen ich sehr stark überzeugt bin.
Das hilft die Erfolgsquote zu erhöhen. Mal läuft das sehr gut, dann gibt es aber auch Phasen mit größeren Verlusten. Das andere Depot zur Vermögensbildung wächst hingegen stetig mit den Schwankungen der Aktienmärkte. Es kann jedem, der so verfährt, als Benchmark gegenüber dem eigenen spekulativen Depot dienen.
Und sollten dort tatsächlich Gewinne anfallen, dann immer mal das Geld umschichten in das Investitions-Depot. Die Chance, dass die Gewinne dann erhalten bleiben, ist deutlich größer.