Ein Kommentar von Torsten Arends, Geschäftsführer NDAC-Anlegerclub
Was die meisten Menschen sich auf unserem alten Kontinent Europa nicht mehr vorstellen konnten, der Kriegsfall, ist nun eingetreten. Russland hat der Ukraine das Recht auf einen eigenen Staat abgesprochen (Lawrow: „Kiew hat kein Recht auf Souveränität“), begründet mit der historischen Kiewer Rus, die auch als Altrussland, Kiewer Russland bzw. Kiewer Reich bezeichnet wird.
Putin inszenierte bekanntlich eine TV-Show, in der so gut wie alles gestellt war. Auch Putin kam dem Betrachter nicht mehr ganz gesund vor, er trat nicht mehr als kühler Machtstratege auf, der die Schwächen des Gegenübers erkennt und dies blitzschnell taktisch ausnutzt. Nicht nur ihrem Autor kam der Kremlherrscher vor, als stände er unter Medikamenten, so krampfhaft wie er sich an seinem Schreibtisch festhielt.
Und das Ergebnis der Show war dann auch abzusehen. Alle sagten ihren Rollentext auf und am Ende erkannte Moskau die beiden vom Gebiet der Ukraine abgespalteten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als souveräne Staaten an und kam gleich der Bitte um Entsendung von „Friedenstruppen“ in die annektierten Gebiete im Donbass nach. Im nächsten Drehbuchabschnitt bitten sie um militärischen Beistand, dem der Kreml nachkommt. Und am frühen Morgen des Donnerstags dann das vorläufige Finale, der Krieg beginnt.
Die USA, die EU und Großbritannien reagierten mit ersten Sanktionen. Die wohl schwerste Sanktion aktuell dürfte wohl Deutschland mit dem Stopp des Zertifizierungsverfahrens für Nordstream II ausgelöst haben. Russlands Ex-Präsident Medwedjew hat daraufhin den Europäern mit einem drastischen Anstieg der Gaspreise gedroht. Die angedrohten 2.000 Euro für 1.000 Kubikmeter Gas dürften aber übertrieben sein. Zumal Russland jetzt aufpassen muss, ob die Verdopplung nicht den künftigen Export russischen Gases überflüssig macht, da so ein Preis natürlich die amerikanischen Flüssiggasproduzenten auf den Plan ruft. Und die ohnehin geplante Abkehr von fossilen Energieträgern in Deutschland und Europa beschleunigt. Am Donnerstag dieser Woche lag der Preis für 1.000 Kubikmeter Gas bei 830 Euro (Amsterdamer Börse).
Schauen wir uns das Gasproblem einmal genauer an.
Wir müssen uns wirklich Gedanken machen, wie wir künftig eine Versorgungssicherheit herstellen können, zumal Gas als Brückentechnologie bei der Energiewende gilt. Dieser Winter ist ja soweit überstanden und in den Gasspeichern der EU befinden sich derzeit noch gut 340 Terrawattstunden (TWh) Gas. Das ist weniger als in den Vorjahren zu diesem Zeitpunkt. Aber bleiben Nachfrage und Importe von außerhalb Russlands auf dem Niveau der vergangenen Wochen, reicht diese Menge bis zum Beginn des Sommers aus, auch wenn der Kreml den Gashahn ganz zudrehen sollte.
Problematisch für Wirtschaft und Verbraucher wird es allerdings, wenn das Worst-Case Szenario eintritt und eine längere Sanktionierung auf beiden Seiten eintritt. Dann müssten die Russlandimporte ersetzt werden. Circa 1.700 TWh lieferte Russland im vergangenen Jahr an Europa. Das sind knapp 40 Prozent des hiesigen Verbrauchs. Der Verbrauch könnte sich noch erhöhen, wenn Deutschland planmäßig aus der Kernenergie/Kohle aussteigt. Selbst wenn die EU-Staaten alle verfügbaren zusätzlichen Importkapazitäten (z. B. algerisches Gas nach Frankreich und Italien, Import von 1.100 TWh Flüssiggas etc.) voll ausnutzen könnten, würde dies nur theoretisch gerade eben so ausreichen, um einen Ausfall russischer Lieferungen zu ersetzen. Aber die EU wird dann trotzdem auf einem Defizit bei der Gasversorgung sitzen bleiben. Denn praktisch gesehen ist Europas internes Gasnetz nicht dafür ausgelegt, so große Mengen von Flüssiggasterminals etwa in Spanien, Frankreich oder Belgien Richtung Osten zu transportieren. Die größte Hürde aber ist die Beschaffung des Flüssiggases. Weltweit werden jährlich maximal 5.000 TWh Flüssiggas produziert, mehr geht nicht. Durch Lieferverträge ist aber der größte Teil der Kapazitäten bereits anderweitig gebunden. Wenn die EU als neuer Verbrauchsplayer auch nur 1.000 TWh nachfragen würde, dann so Experten, bricht der Markt zusammen. Neue Gasfelder zu erschließen nimmt Jahre in Anspruch.
Wie nun kommen wir aus der Misere raus? Fakt ist, dass es ein Angebotsdefizit gibt, das nicht schnell geschlossen werden kann. Gas einsparen wäre eine Möglichkeit, ist aber zu teuer und aufwendig. Die Umstellung auf Öl bei einigen Gaskraftwerken bringt wenig Nutzen. Gebäudedämmung dauert Jahre und dürfte dann auch an den Handwerker- und Materialkapazitäten scheitern.
Wir sehen also, unausweichlich würde wohl die Rationierung von Gaslieferungen an Industrieunternehmen oder gar die Einstellung des Betriebs in manchen Fabriken folgen, um zu vermeiden, dass in privaten Haushalten das Gas zum Heizen ausgeht. In den vergangenen Monaten mussten schon einige energieintensive Unternehmen (Düngemittelfabriken, Stahl und Aluminiumhütten etc.) ihre Produktion einstellen, weil der hohe Gaspreis schon jetzt für sie keine Rentabilität mehr brachte. Weitere Unternehmen würden bei einer weiteren Gaspreiserhöhung dann folgen.
Im Endergebnis würden es Europa und Deutschland in eine Rezession treiben. Mal ganz davon abgesehen, dass die höheren Gaspreise die Inflation weiter anheizen würden.
Wenn Russland jetzt auch noch berechtigterweise der Zugang zu den Finanzmärkten abgeschnitten bzw. auch aus dem SWIFT-System ausgeschlossen wird, dann wird noch einmal eine Schockwelle durch die Finanzmärkte gehen. Denn damit schaden wir nicht nur Russland, sondern auch uns selbst.
Die Börsen haben diese Probleme blitzschnell erkannt und schockiert reagiert, sie stürzten regelrecht ab. Wer Mut hatte, der hat die Chance zum Einsammeln von abgestürzten Aktien genutzt. Am besten aber ist es, vorerst die Füße still zu halten, denn keiner kann sagen, welche Schockwellen aus Moskau noch kommen werden und wann der Tiefpunkt erreicht ist. Aktuell jedenfalls ist Halten in den Depots angesagt.
Eine gute Nachricht haben wir aber zum Abschluss noch. Unser Depotwertwert Munich Re hat die Dividende von 9,80 Euro auf 11 Euro erhöht. Mit dem Plus von mehr als zwölf Prozent schüttet der Dax-Konzern erstmals eine zweistellige Euro-Summe an seine Anteilseigner aus.