Ein Kommentar von Torsten Arends, Geschäftsführer NDAC-Anlegerclub
Zuerst einmal möchten wir unseren Lesern eine neue Wortschöpfung aus dem Hause des Wirtschaftsmagazins Capital vorstellen. Ein „politischer Massensympathieundsolidaritätsbekundungstourismusboom“ von deutscher Seite hat in der Ukraine Einzug gehalten. Bis auf den Kanzler und den Bundespräsidenten (der seinen Besuch aber schon angekündigt hat) waren doch schon so einige deutsche Politiker bei Präsident Selenskyj in Kiew. Deutschland dürfte nicht ganz unvorbereitet auf die Drosselung der Erdgasliefermenge aus Russland sein. Erstmals gehen die Gaslieferungen in den Westen deutlich zurück. Kiew macht Russland für die Störung der Pipeline verantwortlich, Moskau dementiert. Am Mittwochabend eskalierte Moskau die Lage mit Vergeltungssanktionen. Wer nun recht hat, ist in dem Fall auch erst einmal egal, weil Nordstream I ja weiterhin zuverlässig Gas nach Deutschland liefert. Aber als Vorbote für einen Ausfall der Gaslieferungen dürfen wir das Ganze schon sehen.
Und auch ein anderes Geschäft hat der Ukraine-Krieg eingeschränkt oder im schlimmsten Fall sogar beendet, das lange Zeit boomende Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) wurde abrupt gebremst. Die wenigsten Unternehmen trauen sich gerade zu, große Übernahmen zu stemmen, und wenn, dann finden Käufer und Verkäufer bei den Preisvorstellungen nur schwer zueinander. Wir beobachten daneben noch eine Verschiebung bei M&A. Die Konzernlenker wollen wegen der Lieferkettenprobleme den Bezug von Vorprodukten, Rohstoffen und Energie über Zukäufe absichern. Investmentbanker müssen sich neu orientieren und ihre Teams neu ordnen. Die „Dealmaker“ sprechen davon, dass vertikale Integration (eine Form der Unternehmenskonzentration, bei der die Fertigungstiefe erhöht wird, indem sich mehrere Unternehmen mit aufeinanderfolgenden Verarbeitungs- oder Handelsstufen vereinigen) für viele Firmen in etlichen Branchen ein Thema ist.
Generell stehen Transaktionen mit einem Bezug zu erneuerbaren Energien oder dem Rückzug aus fossilen Brennstoffen ganz oben auf der Agenda. Das Ziel, von russischer Energie unabhängig zu werden, verstärkt diesen Fokus. „Der Krieg hat auch langfristige Auswirkungen. So wird Deutschland gezwungen, massiv in Dekarbonisierung-Technologien zu investieren, die dann in ein paar Jahren die Exportschlager Deutschlands werden könnten. Für Deutschland könnte die Dekarbonisierung das neue Geschäftsmodell werden“, sagt Sven Baumann, Barclays-Investmentbankchef in Deutschland. Und das ist ganz wichtig für uns als Anleger, denn hier bieten sich jede Menge Möglichkeiten. Die Antriebstechnologie mit grünem Wasserstoff wird immer mehr in den Fokus rücken. Solarenergie ebenso. Das Elektroauto wird wohl auf Grund der hohen Nebenkosten, Energie, Recycling etc. bald wieder ein Auslaufmodell sein.
Allein im ersten Quartal haben europäische Fondsanleger so viel Geld verloren wie seit zwei Jahren nicht mehr, insgesamt 603 Milliarden Euro. Das hat die Ratingagentur Morningstar exklusiv für das Handelsblatt ausgerechnet. Die Aktien- und Anleihemärkte ächzen derzeit gleich unter drei Belastungsfaktoren: Krieg in Europa, Konjunkturabkühlung in China und eine mit großer Unsicherheit behaftete internationale Zinswende. Nun, die Summe klingt erst einmal hoch, aber wir dürfen nicht vergessen, dass in Europa immerhin 9,2 Billionen Euro in Anleihe- und Aktienfonds stecken. Vielleicht erinnern wir uns an das erste Quartal 2020, als der Pandemie-Börsencrash einen Verlust von 1,3 Billionen Euro verursachte. Und wie schnell die Märkte die Verluste wieder aufholten. Betrachten wir es also als das was ist, als eine Momentaufnahme, die im nächsten Quartal schon wieder viel optimistischer aussehen kann. Aktienanlage ist etwas, wie wir immer wieder sagen, für lang und mittelfristige Zeiträume und starke Nerven.
Was ist nur mit den Techis los??? Der Ausverkauf an den Aktienmärkten trifft auch Tech-Riesen hart. So haben Apple, Microsoft und Amazon und Co. in der vergangenen Woche in nur drei Handelstagen mehr als eine Billion Dollar an Börsenwert verloren, wie aus Daten des Finanzdienstes Bloomberg hervorgeht. Es wird zu viel verkauft und die Aktien treffen auf keine Nachfrage, also sinkt der Kurs. Die Zinswende in den USA trifft die Tech-Riesen hart. Größter Verlierer ist Apple, der 226 Milliarden Dollar an Wert verlor. Microsoft mit 190 Milliarden Dollar folgt auf dem zweiten Platz. Drittgrößter Verlierer war der Onlinehändler Amazon mit einem Minus von 174 Milliarden Dollar, gefolgt vom E-Auto-Pionier Tesla mit einem Verlust von 171 Milliarden Dollar und Alphabet mit 127 Milliarden. Wir haben ja schon von einer Verschiebung der Prioritäten auf den internationalen Märkten geschrieben. Und daraus folgt eben, dass aktuell jeder noch schnell Gewinne mitnehmen will, solange es noch welche gibt.
Die Inflationsraten in den USA scheinen ihren Höhepunkt hinter sich gelassen zu haben. Im April lag der Anstieg der Verbraucherpreise mit 8,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr leicht unterhalb des Vormonatswertes von 8,5 Prozent. Erwartet worden war allerdings ein stärkerer Rückgang auf 8,1 Prozent. Da hat die Fed noch viel zu tun und wir dürfen gespannt auf weitere Zinserhöhungsschritte sein.
Russland förderte vor Beginn des Russland-Ukraine-Krieges 11,3 Millionen Barrel Öl pro Tag, von denen 7,8 Millionen Barrel exportiert wurden. Infolge der bisherigen Sanktionen sah sich Russland gezwungen, die tägliche Fördermenge um schätzungsweise eine Million Barrel zu reduzieren. Das Vorhaben der Europäischen Union, Ölimporte aus Russland gänzlich zu stoppen, könnte die tägliche Fördermenge bis August um weitere zwei Millionen Barrel belasten. Und nun könnte Russland zwar das Öl nach Asien pumpen, aber dazu fehlen im Moment noch die Pipelines. Der Anteil am russischen Kuchen wird neu verteilt. Nicht umsonst hat Saudi Aramco Apple als das wertvollste Unternehmen der Welt überholt. Die teilstaatliche saudi-arabische Gesellschaft, die als größtes ölproduzierendes Unternehmen der Welt gilt, wurde auf der Grundlage des Aktienkurses bei Börsenschluss am Mittwoch mit 2,42 Billionen Dollar bewertet. Der Börsenwert des US-Technologiekonzern Apple sank dagegen auf 2,37 Billionen Dollar.