Zinswende = Zeitenwende, Wirecard und neue Urteile
Ein Kommentar von Torsten Arends, Geschäftsführer NDAC-Anlegerclub
Obwohl die Zinsen noch nicht einmal erhöht wurden, ist die Zeitenwende an den Märkten schon eingeleitet, denn die Märkte nehmen es vorweg, dass ihnen langsam der Tropf mit den Geldinfusionen entfernt wird. In den USA stärker als in der Eurozone. Und die durch die Fed angekündigten drei Zinserhöhungen (es werden aber höchstwahrscheinlich vier um jeweils 0,25 Prozent) tun ein Übriges, um die Märkte zu verunsichern. Wir sehen es an den Aktienmärkten.
Auch in der dritten Handelswoche des neuen Börsenjahres ist das Geschehen an den internationalen Börsen vom Ausverkauf bei Technologie-Aktien geprägt. Dabei trifft es Titel mit besonders ambitionierten Bewertungen am härtesten. Die Deutsche Bank hat ausgerechnet, dass an der US-Technologiebörse Nasdaq gelistete Papiere von Software-Konzernen, deren Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) im oberen Fünftel liegt, im Schnitt fast 18 Prozent verloren haben. Beim unteren Fünftel betrug das Minus nur etwas mehr als fünf Prozent. Besonders dramatische Ausmaße nimmt das Kursdebakel inzwischen bei gehypten US-Tech-Nebenwerten an, welche die einstige Star-Investorin Cathie Wood in ihren ETF gepackt hat. Viele dieser Titel liegen inzwischen 50, 60 Prozent und mehr unter Wasser. Verantwortlich für die desaströse Kursentwicklung ist vor allem der jüngste Anstieg der Kapitalmarktzinsen. In den USA kletterten die Renditen für zehnjährige Anleihen zuletzt auf ein Zweijahreshoch. Höhere Zinsen senken den Barwert zukünftiger Umsätze beziehungsweise Gewinne und treiben somit die ohnehin schon hohen Bewertungen auf neue Höchststände. Die Rendite für zehnjährige Staatspapiere zog auf 1,86 Prozent an. Zwischenzeitlich hatte sie den höchsten Stand seit Anfang 2020 erreicht.
Anleger rechnen mit einem baldigen Ende der Pandemie, die Omikron-Welle wird teilwiese bereits als letztes Aufbäumen des Virus gesehen. Dadurch geraten die vormals gehypten Corona-Profiteure aus den Tech-Segmenten zusätzlich unter Druck. Dazu kamen dann noch schwache US-Konjunkturdaten.
Die Tatsache, dass die US-Notenbank ihre Geldpolitik schneller straffen will, könnte sich auch auf Europa auswirken. Beginnt die Fed bald damit ihre Bilanz zu reduzieren, würde sie nicht mehr alle auslaufenden Anleihen aus ihrem Bestand ersetzen – und damit dem Markt Liquidität entziehen. Der bekannte DWS-Fondsmanager Klaus Kaldemorgen hält es daher für möglich, dass die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen in diesem Jahr bis auf drei Prozent steigen. Das könnte sich in Europa in höheren Marktzinsen und einem schwächeren Wechselkurs des Euros bemerkbar machen – mit unbequemen Folgen für die Europäische Zentralbank (EZB).
Selbst wenn die Renditen im Euro-Raum nicht steigen, dürfte die Zinsdifferenz zwischen beiden Währungsräumen zunehmen. Das könnte den Euro-Kurs schwächen und die Inflation antreiben, denn die Importpreise werden dann für einen weiteren Inflationsschub sorgen.
Wie heißt es so schön, des einen Leid ist des anderen Freud. Steigende Zinsen bedeuten u. a. für Versicherungen wieder bessere Anlagemöglichkeiten. Wir haben mit der Munich Re und der Allianz zwei Werte in unserem Depot, die auch auf den Kauflisten der großen Fonds stehen. Aber auch die Werte von Aviva, Axa, Legal & General und Sampo haben neben einem Kurspotential auch eine solide Dividenden-Rendite zu bieten.
Erinnern werden sich die meisten Anleger mit kalten Grausen an die Wirecard-Aktie, die nach einem Hype gleichsam wie ein Stein fiel, als bekannt wurde, dass es ungedeckte Schecks in Milliardenhöhe in der Bilanz gab. Nun, Wirecard ist Geschichte, denn es ist pleite und kann keinen Schadensersatz mehr leisten. Einige Anleger zogen danach gegen die Bafin als Kontrollbehörde vor Gericht und warfen der Behörde eine Verletzung der Kontroll- und Informationspflichten vor. Das Gericht kam jetzt allerdings zu dem Ergebnis, dass die Bafin nach den gesetzlichen Vorschriften ihre Aufgaben ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnehme und nicht im Interesse einzelner Anleger. Da ist das Urteil allerdings durch das Landgericht Frankfurt/Main gegangen und wird wahrscheinlich die Instanzen bis zum EuGH durchlaufen. Dass es auch anders gehen kann, sehen wir an den Beschlüssen von zwei Senaten des Oberlandesgerichtes München, dass ein Urteil des Landgerichtes München 1 kippte. Es erging gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY). Ohne die Bestätigung der Jahresabschlüsse durch EY wäre die für das Unternehmen positive Anlegerstimmung ausgeblieben und hätten Anleger die Anteile an Wirecard nicht gekauft. Sollten die Urteile Bestand haben, dann wird es sehr ungemütlich für die Prüfer von EY. Zwar ist Wirecard selbst in der Pflicht die betrogenen Anleger zu entschädigen, aber der Insolvenzverwalter wird nur einen kleinen Teil der Kursverluste ersetzen können. Das klingt doch schon einmal positiv. Allerdings wird EY schon aus Existenzgründen sicher die Urteile genau prüfen und ggf. Revision einlegen. Abschließend der Hinweis, gebeutelte Wirecard-Aktionäre, die weitere Informationen über ihre Schadensersatzansprüche gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY wünschen, können sich kostenlos der von der Fachanwaltskanzlei Dr. Greger & Collegen initiierten Interessensgemeinschaft anschließen. Dies kann man der Webseite der Kanzlei entnehmen.