So ein bisschen mutet die aktuelle Entwicklung an wie ein missverstandenes olympisches Motto in der Digitalisierung: „Höher, schneller, weiter“ – buchstäblich oft zu jedem Preis. Und die Anlagen in Aktien der Künstliche Intelligenz (KI) erinnert ein wenig an die Zeiten des längst untergegangen Neuen Marktes. Unternehmen brauchen nur die KI als Baustein ihrer Technologie zu erwähnen und schon greifen die Anleger zu, egal wie hoch die Bewertung des betreffenden Wertes bereits in die Höhe geschossen ist. Nicht falsch verstehen, hinter den Werten des Neuen Marktes standen oftmals leere Versprechen, hinter den Unternehmen heute stehen in der Regel eine Substanz, die die hohe Bewertung teilweise rechtfertigt.
Anleger sollten aber wie bei jedem Hype genau hinschauen und sich nicht von der schönen neuen Welt der Daten blenden lassen. Tatsache ist, dass momentan vor allem die großen Tech-Unternehmen aus Übersee am Hype verdienen. Immer neue Tools und immer teurere Lizenzen öffnen immer mehr Unternehmen und ihren Mitarbeitern das Tor zur KI. Die Strategie dahinter? Nun ja, zunächst einmal lässt sich das Thema (intern, aber auch extern) natürlich gut verkaufen. Frei nach dem Motto: „Wir sind jetzt auch dabei.“ Dabei wird häufig komplett die Frage außer Acht gelassen, was man als Unternehmen eigentlich tatsächlich mit KI erreichen will – und kann.
Aufwand und Ertrag stehen im Ergebnis oftmals in keinem Verhältnis. Denn: Gern wird vergessen, dass KI nicht umsonst zu haben ist. Der Einsatz von KI bindet große Kontingente an Geld und Ressourcen, die dann woanders fehlen. Hinzu kommen die gesellschaftlichen Folgen. Da sind zum einen immense Folgen der CO2-Belastung durch exorbitante Rechnerleistungen (das kann börsennotierten Unternehmen die Einhaltung ESG-Kriterien verhageln und damit verbunden den Ausschluss aus so manchen Fonds). Und es entsteht jede Menge Müll, denn Rechner altern bekanntlich sehr schlecht und ob sie in jedem Fall für die Ressourcengewinnung abgegeben werden, darf man auch bezweifeln. Hinzu kommen die sozialen Folgekosten. Was macht ein Unternehmen und was machen wir als Gesellschaft denn mit den freigewordenen Personalkapazitäten? Das Märchen von den kreativen Freiräumen, die entstehen, wenn Menschen von „schnöden“ Arbeitsabläufen durch KI befreit werden, ist schlicht in der Realität kaum haltbar, speziell in Rezessionsphasen. Da wird aus kreativen Freiräumen ganz schnell ein Jobverlust, der, wenn er länger anhält, auch die erworbenen praktischen Kenntnisse aus der KI verdrängt. Zumal bei unserer deutschen Qualifizierungsromantik durch die Arbeitsagenturen.
Wenn jemand KI für sein Unternehmen nutzen möchte, muss klar sein, welchen Fokus man legt, welche Effekte erzielt werden sollen und wie man mit unterschiedlichen Folgen des Einsatzes sinnvoll umgehen kann. Am ehesten gelingt das noch in der Medizintechnik (OP-Roboter, Pflegeroboter, Tomografiegeräte etc.) Andere Gebiete werden aber trotzdem mit neuen Innovationen folgen.
Ohne starke und klare Prozesse geht es nicht. Keine noch so schlaue KI ersetzt diese, vielmehr offenbart und potenziert sie dann auch noch die Schwächen. Und: Kommt das Unternehmen zu dem Ergebnis, dass die eigenen Prozesse noch zu schwach, der Reifegrad der verfügbaren KI-Lösungen zu gering sind, dann ist keine KI-Strategie auch einmal die richtige Unternehmensstrategie. Es muss ja nicht für immer sein. Gänzlich falsch ist es, aus Angst etwas verpassen zu wollen, um buchstäblich jeden Preis auf den Zug aufzuspringen. Vergessen wir nicht: Maschinen, und etwas anderes ist auch die KI nicht, ersetzen keine Unternehmensstrategie. Der Einsatz von KI wird schließlich von Menschen entschieden.
Kommen wir jetzt nach den einleitenden (kritischen) Bemerkungen zu weiteren Aspekten der KI.
Die Deutschen und insgesamt die Europäer spielen im Konzert der KI-Entwickler und Profiteure wohl nur eine untergeordnete Rolle. Das liegt nicht an der fehlenden Intelligenz hierzulande, sondern an den fehlenden Ressourcen und Tempo. Wir sind schon froh, wenn eine Chipfabrik (Intel, TSMC etc.) in Deutschland ein Werk errichtet und subventionieren diese mit Milliardenbeträgen. Zumal es durchaus berechtigte Zweifel am Nutzen der Chips für Deutschland und Europa gibt. Wir haben darüber berichtet.
Besser wäre es vielleicht gewesen, das Geld für die Entwicklung von eigenen KI-Anwendungen auszugeben. Aber dazu bedarf es auch einer vorrausschauenden Politik im Bundesforschungsministerium. Ihr Autor möchte betonen, dass es nicht die Schuld der zurzeit zuständigen FDP-Ministerin ist, das wurde schon seit Jahrzehnten von den verschiedenen Politikern jedweder Color verschlafen. Es fehlt eine Gesamtstrategie, um den führenden Mächten auf dem Gebiet der KI etwas entgegenzusetzen.
So spielt die Musik eben für die Zukunft in den USA und in China und andern Ländern Asiens.