Ein Kommentar von Torsten Arends, Geschäftsführer NDAC-Anlegerclub
Oder sie ist bereits entstanden. Das mögen Historiker nach uns beurteilen. Die alte Weltordnung entstand nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918). Nach und nach wurde das altehrwürdige britische Pfund abgelöst und der amerikanische Dollar wurde zur Weltleitwährung erhoben. Und damit stärkten die USA ihre Weltmachtrolle, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg weiter zur wirtschaftlich und politischen Supermacht entwickelten. Und eine zweite Supermacht etablierte sich in der Welt, die Sowjetunion, deren Stärke nur auf dem Abschreckungspotenzial der Massenvernichtungswaffen beruhte. Doch wie wir jetzt wissen, war es wirtschaftlich nur ein tönerner Koloss, der zu Beginn der 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts zerbrach und sich in seine unabhängigen Bestandteile auflöste.
Der aktuelle Ukrainekrieg Russlands zeigt einmal mehr, dass wir eine neue Weltordnung bekommen. Der Westen reagierte, in den alten Verhaltensmustern gefangen, mit Sanktionen, die Moskau zu einem Waffenstillstand bzw. Friedensverhandlungen zwingen sollten. Die wirtschaftlichen Sanktionen liefen aber ins Leere. Erstens wegen der Abhängigkeiten Europas vom russischen Gas, zweitens, weil Russland durch die vielen Sanktionen mittlerweile autark ist und schließlich der Westen einen immer stärker schrumpfenden Einfluss in der Welt hat. Deutlich vor Augen geführt wurde dies bei der UNO: Fünf von 193 Staaten stimmten in der UN-Generalversammlung gegen die Verurteilung von Putins Krieg, 35 enthielten sich. Das klingt nach wenig, macht aber immerhin die Hälfte der Menschheit aus.
Russland wird weiter Gas nach Deutschland liefern. Zwar nicht so viel wie früher, aber wahrscheinlich doch noch so viel, um die geschlossenen Verträge zu erfüllen. Und ein ganzer Kontinent mit den wirtschaftsstärksten Industrienationen hängt von einer Diktatur, mit einer Wirtschaftsleistung kleiner als Italien, ab. Das Deutschland seine Waffenlieferungen an die Ukraine reduziert hat, dürfte eine entscheidende Rolle gespielt haben. Das geht aus einer Liste hervor, die die Bundesregierung am 21. Juni 2022 veröffentlichte. Seither wurde die Liste nach Auswertungen der Zeitung „Welt“ dreimal aktualisiert und um gelieferte Waffen ergänzt. Demnach wurden in den vergangenen drei Wochen zwei Lieferungen in die Ukraine transportiert. In der ersten Juliwoche erhielt Kiew demnach 42.000 “Rationen Einpersonenpackungen”, also Lebensmittel aus Deutschland. In der zweiten waren es 102 ungepanzerte Kraftfahrzeuge. Das sieht wahrlich nicht nach “Wir unterstützen die Ukraine – und zwar so lange sie diese Unterstützung braucht: wirtschaftlich, humanitär, finanziell und durch die Lieferung von Waffen.”(Scholz) aus.
Der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Zahlungssystem durch den Westen erweist sich als Rohrkrepierer. Die Zahlungen werden längst in Rubel, Yuan oder Rupie abgewickelt. Vor einigen Jahren hatten wir schon darauf hingewiesen, dass das Reich der Mitte den Dollar als Weltleitwährung ablösen wird. Es ging damals u.a. um die Sanktionen gegen den Iran, die ebenfalls ständig unterlaufen wurden. Mit den SWIFT-Sanktionen befeuert der Westen das Vorhaben weiter.
Nicht umsonst sind die USA in einen Handelskrieg mit der Volksrepublik China verwickelt. Und die paar Millionen Europäer müssen sich bald entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Wie sehr abhängig Europas Wirtschaft auch vom chinesischen Markt ist, haben wir während der dortigen Lockdowns überdeutlich vor Augen geführt bekommen. Es dürfte im Fall einer möglichen Schlacht um Taiwan schwierig werden, sich zu entscheiden. Beide Märkte sind eng verflochten, aber China hat uns etwas voraus. Es besitzt sehr gute Argumente, um Europa und die USA über Sanktionen neu nachdenken zu lassen. 90 Prozent der seltenen Erden lagern in China. China hat sich im Gegensatz zu Russland wirtschaftlich weiterentwickelt und gehört heute zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Das Reich der Mitte hat mit dem Projekt Neue Seidenstraße in den Entwicklungsländern Afrikas und Asiens neue Abhängigkeiten geschaffen. Im Augenblick fürchtet sich die Volksrepublik wahrscheinlich mehr vor einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit dem anderen Riesenreich Indien als mit der USA und geschweige denn mit Europa. In Europa endet die Neue Seidenstraße in Deutschland, genauer gesagt im Hafen von Duisburg. Und China wird von einigen EU-Staaten durchaus als freundschaftlicher Partner gesehen (z. B. Ungarn, Griechenland). Ein Investitionsprogramm der EU über 600 Milliarden Dollar sollte überdies den chinesischen Infrastrukturprojekten ein westliches entgegensetzen, aber dessen Finanzierung steht jedoch aus und im Zeichen der internationalen Zinswende spricht heute keiner mehr davon. Die Luft über Afrika dürfte auch nicht heißer sein.
Der Bundeskanzler war zwar schon erfolglos in Russland, hat mit Indiens Premier Modi gesprochen und auch im Senegal dringend benötigtes Erdgas angefragt, aber um China hat er bisher einen Bogen gemacht. Das könnte sich irgendwann einmal politisch, aber vor allem wirtschaftlich rächen.
Auch setzen China und Russland auf die BRICS, ein Forum, in dem Russland, Brasilien, Indien, China und Südafrika bereits verbunden sind und dem sich demnächst auch der Iran anschließen will. Nach Pekinger Vorstellung sollen Indonesien, Argentinien und Ägypten ebenfalls in den Verbund eintreten. Das bedeutet dann, dass die G7 und EU nur noch zu einem Kaffeekränzchen mutiert. Und sollte ein neuer Präsident der USA aus dem Trump-Lager kommen, dann ist G7 wahrscheinlich Geschichte.
Was bedeutet jetzt diese neue, multiplere und teilweise mehr konfrontative Weltordnung für die Anleger? Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass jetzt woanders das große Geld verdient wird. Das Kapital wandert immer dorthin, wo es die meiste Rendite erzielt, wusste schon der alte Karl Marx und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die Wachstumsaussichten in Europa und den USA sind geschrumpft. Anleger müssen sich neu orientieren und die Märkte in Asien im Blick behalten und damit nicht nur den chinesischen Markt, sondern auch den bisher unterschätzten indischen Markt. Und auch auf Afrika müssen Anleger ebenfalls achten. Hier wird sich künftig eine Börsenlandschaft entwickeln wie in Südafrika. Aber weder in Asien noch in Russland (nach Ende der Sanktionen) oder später Afrika, werden Anleger ESG-Kriterien vorfinden. Aber Geld verdient wird trotzdem.