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Die Rubel-Krise ist wieder im Anmarsch

Ein Kommentar von Carsten Witt, stellv. Geschäftsführer des NDAC Anlegerclubs

Die Älteren unter uns erinnern sich sicher noch an die wilden Jahre der Präsidentschaft von Boris Jelzin, die mit der Rubel-Krise ihren zweifelhaften Höhepunkt fand. Erste Anzeichen für eine Wirtschaftskrise begannen im Herbst 1997, kurz nach Beginn der Asienkrise. Diese Krise machte Anleger und Investoren in vielen Ländern (auch in Russland) nervös; sie verkauften z. B. Aktien, Anleihen und Rubel und transferierten die Erlöse in besonders sicher erscheinende Länder („Kapitalflucht“). Dadurch geriet der russische Rubel – dessen Kurs die russische Regierung damals nicht frei floaten ließ – unter Druck. Außerdem hatte Russlands Regierung einen hohen Bedarf für kurzfristige Kredite, um Haushaltsdefizite zu finanzieren. Die Hauptprobleme der russischen Wirtschaft waren eine hohe Binnenverschuldung und daraus folgend eine Zahlungsunfähigkeit. Fabriken konnten ihre Arbeitnehmer nicht bezahlen, da sie für ihre Waren kein Geld bekamen. Die Fabriken konnten bspw. nicht für den verbrauchten Strom zahlen, weshalb die Energiekonzerne wiederum keine Steuern an den Staat abführten. Wie die Sache ausging, wissen wir. Russlands Präsident Boris Jelzin übergab dem russischen Geheimdienst in Person von Wladimir Putin die Macht im russischen Riesenreich. Und heute sprechen wir davon, dass der Geheimdienst hatte sich damit seinen Staat geschaffen.

Und genau vor einer neuen Rubel-Krise stehen wir heute wieder. Ihr Autor hat einige Freunde in Russland, die von einer exorbitanten Teuerung berichten sowie einhergehend mit einem rasanten Verfall der russischen Währung. Güter des Grundbedarfs werden zu praktisch zu Luxusgütern. Mit hohen Zinsen hat die russische Zentralbank zwar versucht, die Inflation wieder einzufangen, aber es war ihr bisher nicht gelungen.

Die Nervosität im Finanzsektor steigt darum immer weiter, die auch durch immer wieder neue Gerüchte bestärkt werden.

Eine der vielen ungeschriebenen Regeln in Russland besagt: Wenn die Behörden sich die Mühe machen, ein Gerücht zu dementieren, dann muss wohl etwas dran gewesen sein. Folgt man dieser Prämisse, dann dürfte die russische Zentralbank zu Beginn des Monats in der Bevölkerung für einige Unruhe gesorgt haben. Die Zentralbanker wiesen öffentlich energisch zurück, dass es Pläne gebe, Bankeinlagen oberhalb von umgerechnet 10.000 Dollar einzufrieren. In seinem Kanal beim Kurznachrichtendienst Telegram reagierte das Institut auf besorgte Fragen von Bürgern, die genau das zuvor im gleichen Medium gelesen hatten: „Diese Idee ist absurd“, hieß es von der Zentralbank. „Mit einem solchen Schritt würden nicht nur die Rechte von Bürgern und Unternehmen verletzt, über ihr Kapital zu verfügen. Er würde auch die Grundlagen des Bankensystems und die finanzielle Stabilität des Landes gefährden.“

Das solche Gerüchte überhaupt aufgekommen waren, hat mit einer bemerkenswerten Entwicklung im russischen Finanzsektor selbst zu tun. Die Einlagen bei russischen Privatbanken sind in den vergangenen Monaten in die Höhe geschossen, weil die Institute extrem hohe Zinssätze anbieten – in einigen Fällen von bis zu 30 Prozent. Das wiederum ist eine Reaktion auf den hohen Leitzins, mit dem die Zentralbank versucht, die zunehmende Inflation in Russland zu bekämpfen. Auf 9,5 Prozent taxierte die Statistikbehörde Rosstat die offizielle Preissteigerung für das Jahr 2024, deutlich mehr als noch im Vorjahr.

Und hier beginnt der Teufelskreis von vorn. Der Druck auf die Währungshüter wächst, ihren Leitzins zu senken, weil er es naturgemäß privaten Unternehmen schwerer macht, Kredite aufzunehmen. Sollte es also zu einer plötzlichen Zinssenkung kommen, könnten die meisten inländischen Bankkunden auch ihre Einlagen abziehen.

Doch im Kern hat die Unruhe im russischen Finanzsektor noch einen ganz anderen Hintergrund. Trotz der hohen Leitzinsen ist das Kreditwachstum seltsamerweise bisher ungebrochen, was wiederum die Inflation weiter anheizt. Denn hier wird zusätzliches Geld in den Kreislauf gegeben, das nicht mit einer wirtschaftlichen Leistungserhöhung zu tun hat. Nach Statistiken der Zentralbank sind die Kredite an die Unternehmen nicht nur ein Stück nach oben gegangen, sondern innerhalb der vergangenen zwei Jahre geradezu explodiert. 

Neben der offenen Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine aus dem Staatshaushalt sei ein System entstanden, mit dem Banken dazu gezwungen würden, günstige Kredite an Unternehmen der Kriegswirtschaft zu vergeben. „Dieses Konzept führt dazu, dass der offizielle Staatshaushalt auf einem soliden Niveau bleibt“, schreibt der Russland-Experte und einstige Morgan Stanley-Banker Craig Kennedy in seiner Studie. „Damit entsteht der falsche Eindruck, dass Russlands Kapazitäten zur Kriegsfinanzierung auf Dauer belastbar sind.“

Daraus ergibt sich für die russische Wirtschaft ein großes Problem. Die Banken finanzieren Rüstungsbetriebe und andere Unternehmen, die die Kriegsinfrastruktur bereitstellen, zu deutlich günstigeren Konditionen als sie der Kapitalmarkt eigentlich hergeben würde. Zugleich müssen sie sich zu sehr hohen Zinsen bei der Zentralbank refinanzieren. Auf Dauer dürfte das auch größere russische Finanzinstitute in eine Schieflage bringen. Es entwickle sich ein „destabilisierender Grundstock an toxischen Schulden, der sich im Markt für Unternehmenskredite ausbreitet“, schreibt Kennedy.

Das Wachstum geht zurück, während die Inflation weiter galoppiert, was wiederum Unternehmen und Bürger naturgemäß davon abhält zu investieren. Auch der russische Rubel steht seit Monaten stark unter Druck. „In den vergangenen zwei Jahren war die russische Wirtschaft wie ein gedopter Marathonläufer unterwegs – und jetzt lässt die Wirkung dieses Dopings nach“, so Alexandra Prokopenko, die einst für die russische Zentralbank arbeitete und nun in Deutschland forscht. „Das Wachstum nimmt ab, wichtige Branchen schwächeln und die Behauptung, wonach Putins Wirtschaft unverwundbar ist, lässt sich kaum noch halten.“

Es ist der russischen Zentralbank unter Elvira Nabiullina zu verdanken, dass das System überhaupt bisher überlebt hat. Inzwischen wächst der Druck auf sie, den hohen Leitzinssatz von 21 Prozent wieder zu senken. Eine deutliche Zinssenkung aber könnte im russischen Bankensektor eine Spirale in Gang setzen – mit unabsehbaren Folgen, nicht nur für Russland, sondern auch für mit Russland befreundete Staaten und damit im Endeffekt für die Weltwirtschaft. Hoffentlich sind wir darauf vorbereitet.