Wäre die Welt nicht so kompliziert, wie sie ist, wäre die Antwort der Schweizer Pharmafirmen auf den 100-Prozent-Zollhammer der USA simpel. Sie könnten auf die Erpressung mit einem kleinen, aber feinen Gegenschlag reagieren. Das bedeutet, sie könnten den größten und profitabelsten Pharmamarkt der Welt für ein paar Monate zum „unwillkommenen Markt“ erklären, ein Lieferverbot verhängen und den USA die Abhängigkeit von Schweizer Innovationen vorführen. Es würde nicht lange dauern, bis der amerikanische Präsident in Basel vorstellig würde und darum bäte, wenigstens die wichtigsten Medikamente wieder importieren zu dürfen.
Die jüngste Eskalation im amerikanischen Wirtschaftskrieg gegen den Rest der Welt stellt unseren NDAC-Clubfondswert Roche, aber auch andere Unternehmen wie Novartis & Co., vor große strategische Probleme.
Bereits zum 1. Oktober wurden Arzneimittel mit einem Zoll von 100 Prozent belegt, schrieb Don auf seinem eigenen Social-Media-Dienst Truth Social. Er hat aber eine Hintertür offengelassen für Firmen wie Novartis und Roche: „Wir werden einen Zollsatz von 100 Prozent auf alle Marken- oder patentierten Medikamente erheben“, schrieb Trump. Ausgenommen scheint die Generikasparte. Und eine weitere, entscheidende Ausnahme gibt es: Firmen, die in den USA eine Produktionsstätte errichten, bleiben verschont. Als „Bauen“ definiert Trump ausdrücklich den Spatenstich oder eine bereits laufende Bauphase. Entscheidend wird am Ende die Frage sein, ob tatsächlich schon der symbolische Baubeginn genügt – oder ob die Pharmaunternehmen konkrete Produktionspläne für den US-Markt vorlegen müssen, um den Strafzöllen zu entgehen. Ebenso unklar bleibt bislang, ob die Zollbefreiung nur für Medikamente gilt, die in den USA produziert werden – oder ob betroffene Firmen pauschal von den Abgaben ausgenommen werden.
Die Nervosität ist groß. Weil die zwei Schweizer Pharmaunternehmen Roche und Novartis Milliardenprojekte in den USA angekündigt haben, könnten sie als Ausnahmefälle dem 100-Prozent-Zoll entgehen. Aber genau weiß man das nicht, da sich die US-Administration noch sehr bedeckt hält. Denn jetzt beginnt wieder das alte Spiel: Novartis will in den nächsten fünf Jahren 23 Milliarden Dollar in zusätzliche Fabriken und Forschungslabors in Amerika investieren. Roche plant im selben Zeitraum Kapazitätserweiterungen in den USA für 50 Milliarden Dollar. Ende August hat Roche außerdem den Spatenstich für eine neue Fabrik in North Carolina bekannt gegeben – das könnte den Baslern nun zusätzlich helfen.
Einmal auf die Schweizer Wirtschaft insgesamt geschaut: Die Auswirkungen wären riesig. Die Wirtschaft in unserem Nachbarland ist stark von der dortigen Pharmabranche abhängig. Sie erwirtschaftet rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rund ein Viertel aller Exporte entfällt auf die von Konzernen wie Novartis und Roche getragene Industrie. Gleichzeitig haben sich die USA zum entscheidenden Absatzmarkt entwickelt. Mittlerweile geht die Hälfte der Pharmaexporte aus der Schweiz in Trumps „Zoll-Phantasia-Land“.
Trump will mehr Arbeitsplätze in den USA schaffen und deshalb Produktionsstätten nach Amerika holen. Darauf baut sein Strafzoll-Regime. Bei den Pharmazöllen geht es dem Republikaner auch um niedrigere Medikamentenpreise. Und letztlich ist der US-Präsident aktuell fast schon auf Zusatzeinnahmen durch Strafzölle angewiesen, denn Washington hat erneut einen „Shutdown“ – die Regierungsbudgets können derzeit nicht gedeckt werden.
Übrigens sehen die Zahlen für Roche sehr gut aus, sodass der Konzern aus diesem Jahr 2025 mit einem starken Ergebnis hervorgehen könnte – sollte die Eidgenössische Regierung in Bern harte Verhandlungen mit dem Weißen Haus über die Zollhöhe führen oder dann eben die Konsequenzen ziehen, wie schon oben ausgeführt.
Roche hat im ersten Halbjahr 2025 ein Umsatzwachstum von 4 Prozent auf fast 31 Milliarden Franken erzielt, trotz eines verlangsamten Wachstums im zweiten Quartal durch die Dollarschwäche. Der Konzerngewinn stieg um 17 Prozent auf 7,8 Milliarden Franken. Von den beiden Sparten steuerte der größere Pharmabereich in den ersten sechs Monaten knapp 24 Milliarden Franken zum Umsatz bei. Das sind 6 Prozent mehr als im Vorjahr.
Mit seinen Diagnostika setzte Roche annähernd sieben Milliarden um (-3 Prozent). Der Pharmakonzern hatte bereits im Vorfeld angekündigt, wegen der mengenorientierten Beschaffung in China mit einem Umsatzrückgang in dieser Sparte zu rechnen.
Unter dem Strich blieb ein Konzerngewinn von 7,8 Milliarden Franken übrig – ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Der operative Kerngewinn, auf den Analysten vornehmlich schauen, stieg um 6 Prozent auf 12 Milliarden. Roche begründet den Anstieg unter anderem mit höheren Verkäufen und einem effizienten Kostenmanagement.
Für den weiteren Geschäftsverlauf gibt sich die Konzernführung zuversichtlich, die eigenen Ziele zu erreichen. So strebt Roche zu konstanten Wechselkursen weiter einen Anstieg der Umsätze im mittleren einstelligen Prozentbereich an. Der Kerngewinn je Titel soll im hohen einstelligen Prozentbereich steigen. Außerdem ist die Gruppe weiter bestrebt, die Dividende in Schweizer Franken zu erhöhen; aktuell wird für das laufende Jahr 2025 eine Dividende in Höhe von 9,70 Franken erwartet.
Die Zollproblematik betrifft auch die deutsche Pharmaindustrie. Zwischen den USA und der EU steht eigentlich seit Sommer ein Deal: Dabei wurde bekanntlich ein Basiszollsatz von 15 Prozent festgelegt. Für europäische Hersteller von Arzneimitteln, Halbleitern und Bauhölzern war bislang jedoch nicht ganz klar, ob die Zollobergrenze von 15 Prozent auch für sie gilt. Das sollte Brüssel ganz schnell klären lassen.