Die Pharmaindustrie wird sich verändern (I)
Wir werden alle älter – predigen uns die Politiker und Weisen aus dem Ökonomieland schon ewig. Deshalb sollen wir auch alle länger arbeiten. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Das wir jetzt länger leben verdanken wir zum großen Teil der Pharmaindustrie. Aids ist schon lange kein Todesurteil mehr und auch die Erfolge, die in der Krebsforschung erzielt werden tragen dazu bei, das Leben der Patienten zu verlängern bzw. die Krankheit vollständig zu heilen. Und auch der Kampf gegen die Fettleibigkeit als Hauptursache für die meist tödlich verlaufenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte dank neuer Forschungen der Pharmaindustrie bald erfolgreich sein.
Lassen wir jetzt einmal die im Internet wie eine neue Seuche auftretenden Medfluenzer beiseite. Das sind geschulte Werbeprofis, die uns erklären, was wir gegen diese und jene Krankheit mit Pillen und Salben unternehmen können und müssen. Dr. Google lässt grüßen. Über 1.000 Medfluenzer soll es hierzulande geben. Einige von ihnen sind durchaus als Fachleute zu bezeichnen, Ärzte, Sanitäter und ähnliche Berufsgruppen, die sich wirklich mit der Materie „Gesundheit“ auskennen. Andere sind wohl eher Fachleute, wie schon festgestellt, auf dem Gebiet des Verkaufens. Einen Vorteil haben sie für ihre Anhänger trotzdem, sie übersetzen die Ärztesprache in eine einfache verständliche Sprache.
Kommen wir zum tiefgreifenden Wandel der Pharmaindustrie zurück. Das betrifft vor allem auch die europäische Pharmaindustrie. Diese war lange Zeit weltweit federführend, hat ihre Position mittlerweile aber an die USA verloren. Und mit China steht ein neuer Forschungsgigant bereit. Indien wird sich auch nicht mehr lange mit Herstellung von sogenannten Nachahmer-Präparaten und Antibiotika begnügen. Auch wenn sich die pharmazeutischen Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Vergleich zu Europa noch in Grenzen halten, Asien holt auf und könnte schon in einigen Jahren Europa übertrumpfen. Europas Pharmaindustrie muss sich umstellen und fit werden für die Zukunft.
Die Pharmaindustrie steht ohnehin vor einem grundlegenden Wandel, nicht nur unter technologischen Gesichtspunkten. Das Digitalzeitalter verändert nämlich nicht nur die Kommunikation, es sorgt auch dafür, dass der medizinische Fortschritt deutlich schneller und effektiver wird, indem etwa riesige Datenmengen aus der Forschung zügig abgearbeitet werden können – Stichworte Big Data und Künstliche Intelligenz, beides Gebiete, auf denen die USA und China führend sind und eben nicht Europa.
Doch das ist nur die eine Seite, die die Pharmaindustrie zum Umdenken zwingt. Die andere Seite ist eher eine politische/gesellschaftliche, die mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zwar nicht in die Welt kam, aber damit höchste Brisanz gewonnen hat. Diese Seite kulminiert in der Fragestellung: Was dürfen Pharmaunternehmen? Diese trivial anmutende Frage dürfte in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.
Das geht bei der Preisgestaltung schon los. Dürfen Pharmaunternehmen etwa allein darüber entscheiden, welchen Preis sie für ein Medikament verlangen? In der Regel wird man mit „Ja“ antworten, es ist ja schließlich ihr Produkt, doch manchmal kann von einem Medikament Leben und Tod abhängen.
Nehmen wir zum Beispiel Zolgensma. Das ist ein Medikament (Gentherapie) der Novartis-Tochter Avexis, dessen Einmaldosis über zwei Millionen Euro kostet und in Europa 2020 zugelassen wurde. Kleine Kinder bekommen es, die unter spinaler Muskelatrophie leiden, einer Erbkrankheit, die zwar selten, aber immer wieder einmal vorkommt und die unbehandelt meist tödlich endet. Bei einer solchen Notlage zwei Millionen Euro pro Dosis aufzurufen, ist irgendwie nicht gerechtfertigt, oder doch? Zumindest für die, die es in der Hauptsache bezahlen sollen, die Verantwortlichen der Krankenversicherer. Sie werden darüber ins Schwitzen kommen. Meistens ist es Einzelfallentscheidung, die vom Vorstand abgesegnet werden muss und dabei ist es egal, ob es sich um eine gesetzliche Krankenversicherung (GKV) oder eine Private Krankenversicherung (PKV) handelt.
Nicht überall verhandeln Krankenkassen über Preise und entsprechende Rabatte mit den Herstellern wie in Deutschland. In diesem Fall dürfte eine Verhandlung über Rabatte wohl auch bei uns in Leere laufen, da wir es mit einem seltenen Medikament zu tun. Solange der Patentschutz noch nicht ausgelaufen, wird es wohl nicht billiger werden.
Ob der Preis für Zolgensma überhaupt gerechtfertigt ist, kann und will ihr Autor natürlich nicht beurteilen, dazu braucht man Fachkenntnisse und wir dürfen bezweifeln, dass die Apotheken über die Vorgaben zur Preisgestaltung immer Bescheid wissen. Klar ist aber, Medikamentenpreise sind ein absolutes Politikum. Kaum eine andere Produktgruppe steht so im Fokus der Öffentlichkeit, kaum eine andere Ware ist so in ihrer Preisgestaltung umstritten und ein Stück weit auch leider undurchsichtig. Denn was ein Medikament am Ende in seiner Entwicklung einen Pharmakonzern wirklich kostet, ist nicht einfach so an einer Zahl abzulesen.