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Das große Interview mit Stefan Riße

Stefan Riße, Kapitalmarktstratege bei ACATIS Investment

„Die  Inflation  kommt“  lautet  der  Titel  Ihres  neuen  Buches.  Das  klingt  sehr  bestimmt.  Lehnen  Sie  sich  da  nicht  zu  weit  aus dem Fenster? Die Mehrheit der Experten sieht das ganz anders und erwartet schlimmstenfalls einen Preisbuckel als Echo auf die Pandemie.

Stefan Riße: Das eine schließt das andere nicht aus. Es ist durchaus  möglich,  dass  der  aktuelle,  vor  allem  auch  durch  Basiseffekte ausgelöste Preisauftrieb in vielen Bereichen wie­der etwas abklingt. Ich beziehe mich aber nicht nur auf 2021 oder 2022, sondern auf die ganze Dekade und auch noch län­ger.  Und  da,  befürchte  ich,  bleibt  es  nicht  bei  einem  Preis­buckel. Da kommt eine ganze Inflationswelle.

Was macht Sie da so sicher? Die in der Pandemie aufgestaute Nachfrage ist irgendwann befriedigt. Auch die staatlichen Stützungsprogramme laufen nicht ewig.

Stefan Riße: In diesen Punkten mögen Sie recht haben. Ich denke mehr an die grundlegenden Trends. Vor allem die Globalisierung leistete praktisch seit Anfang der Neunzigerjahre einer deflatorischen Entwicklung Vorschub. Dieser Trend läuft aus. Künftig werden wir eine inflatorische Grundtendenz haben, die unweigerlich zu steigenden Preisen führt

Und wo soll diese herkommen?

Stefan Riße: Ein Kernfaktor ist die Demografie. Dank Globalisierung wurden über praktisch drei Jahrzehnte billige Ar-beitskräfte etwa aus China und Osteuropa in den globalen Produktionsprozess eingebunden. Das wirkte lohndämpfend. Mittlerweile altert aber auch dort die Bevölkerung, das Reservoir trocknet aus. Gleichzeitig verdienen die ehemaligen Billigkräfte besser, was Konsum und Nachfrage antreibt. Konkret: Ein massiver deflatorischer Faktor, der über lange Jahre dämpfend wirkte, dreht sich um. Zwar nicht sofort, aber ab 2025 kippt das Ganze. Und das ist nicht alles.

Was soll die Preise noch hochtreiben?

Stefan Riße: Die Löhne. Sie werden gleich doppelt zu einem starken Motor. Der erste Aspekt ist rein politisch. Die Globalisierung schuf viele Gewinner, aber auch Verlierer, vor allem in den unteren Einkommensschichten. Die Löhne stiegen hier oft nur mäßig. So etwas fördert politischen Extremismus. Es ist zu bezweifeln, dass etwa in den USA ohne diese Benachteiligten ein Donald Trump hätte Präsident werden können. Auch in Europa erhalten extreme Parteien Zulauf. Hier wird die Politik gegensteuern.

Und wie?

Stefan Riße: Denken Sie an die Diskussion um ein Bürgergeld, nicht nur in Deutschland. Und die plötzlichen Forderungen nach einer massiven Erhöhung des Mindestlohns jetzt in den USA von 7,25 auf 15 Dollar und bei uns auf zwölf Euro. Die Regierenden fürchten offenbar um den sozialen Frieden. Mit Blick auf die Preise führt das zur Verteuerung von Dienstleistungen oder anderen arbeitsintensiven Tätigkeiten. Das ist ein Klassiker, zumal sich auch bei Höherqua-lifizierten die Lohnspirale nach oben dreht. Einen immer stärker drückenden Fachkräftemangel gibt es ja nicht nur in Deutschland. Stichworte IT oder Seniorenpflege.

Das ist eher die mittlere Sicht. Kurzfristig spricht das nicht unbedingt gegen eine Preisentspannung nach Corona.

Stefan Riße: Ja, das sind die langfristigen, generellen Grundtrends. Aber schon jetzt beginnen weitere Dinge zu greifen, Einzelfaktoren, die im Bündel gleichfalls klar inflationär wirken. Die Pandemie sprachen wir schon an. Neben einem Nachfragestau bewirkt sie auch ein kleineres Angebot, wegen Pleiten oder Lieferschwierigkeiten durch Störung der Einkaufsketten. Beispiele: Halbleitermangel, der Autofabriken lahmlegte, oder Mangel an Holz für den Bau. Die Anlieferung „just in time“ aus allen Ecken der Welt funktioniert nicht mehr und wird im Fall Chi-na auch politisch hinterfragt. Das betrifft neben Mikrochips etwa Dinge wie Pharmazeutika, Mobiltelefone, Batterien für E-Autos und so fort. Die Firmen werden daraus ihre Lehren ziehen und mehr vor Ort produzieren lassen, auch wegen des neuen Lieferkettengesetzes. Das ist teu-rer, und diese Kosten werden sie in den Preisen weitergeben. Kurz: Das künftige Mehr an Sicherheit und Nachhaltigkeit in Lieferketten wird der Verbraucher mit höheren Preisen bezahlen.

Sie sprachen von mehreren Treibern?

Stefan Riße: Hinzu kommen die Rohstoffpreise. Das wird noch völlig unterschätzt, weil man sich über die Jahre eher an Stagnation oder Verbilligung gewöhnt hat. Dabei steigen die Preise für Rohöl und Stahl parallel zur Erholung der Wirtschaft vor allem in China bereits klar an. Und es ist absehbar, dass die Förderung von Elektromobilität und erneuerbaren Energien in Europa und neuerdings auch in den USA zu einer nachhaltigen Verteuerung hierfür benötigter Metalle wie Kupfer, Zinn, Nickel, Kobalt oder Silber führt. Das wird auf die Produktpreise durchschlagen, auch in vielen anderen Branchen. Einen weiteren Inflationsmotor bilden Immobilien und Mieten. Zum Teil ist der globale Preisboom hier Ausfluss der Inflation der Vermögenspreise, ausgelöst durch die Geldflut der Notenbanken und extrem tiefe Zinsen. Speziell in Deutschland, wo Bauen wegen gesetzlicher Vorschriften schon jetzt so teuer ist wie sonst nirgends, wird die Energie-wende mit den Themen Isolierung und moderne Heizung immer mehr Geld verschlingen. Zudem wird die Dekarbonisierung Energie massiv verteuern. Damit steigen die Immobilienpreise weiter und natürlich auch die Mieten. Dinge wie Mietpreisbremsen sind da eher Zeichen politischer Hilflosigkeit.

Das klingt nicht gut. Also haben die Finanzmärkte doch recht, wenn sie eine höhere Inflation einkalkulieren und negativ reagieren?

Stefan Riße: Ja und nein. Richtig liegen sie, wenn sie sich auf eine höhere Teuerung einstellen. Falsch liegen sie, wenn sie deswegen negativ reagieren. Denn ein entscheidendes Korrektiv fällt diesmal aus: die Notenbanken. In der Vergangenheit setzte nicht die Inflation an sich den Börsen zu, sondern die dadurch ausgelösten Bremsmanöver der Zentralbanken. Anfang der 1980er-Jahre gab es Leitzinsen von 20 Prozent in den USA und 7,5 Prozent in Deutschland, als die Inflation bis 14 Prozent in den Staaten und auf mehr als sechs bei uns hochschnellte. Klar, dass das den Märkten zusetzte. Heute sind selbst auch nur ansatzweise hohe Zinsen undenkbar. Gegenwehr von den Notenbanken ist sogar bei stärker anziehenden Preisen diesmal kaum zu befürchten.

Sind Sie da so sicher?

Stefan Riße: Das Kernproblem ist doch die immense, durch die Pandemie nochmals befeuerte Verschuldung von Staaten, Firmen und Privaten von global inzwischen mehr als 280 Billionen Dollar. Schon Zinssätze von drei oder vier Prozent würden viele Pleiten auslösen und vor allem eine weltweite Depression. Das können Notenbanken nicht riskieren.

Aber Geldwertstabilität ist doch Aufgabe der Zentralbanken?

Stefan Riße: Man muss die Realität sehen. Die Notenbanken haben sich über eine jahrzehntelang immer lockerere Geldpolitik, die Schuldenmachen sehr vereinfachte, ins Abseits manövriert. Stärker zu bremsen, wäre da fatal. Dafür ist der Rubikon viel zu weit überschritten. Dieser Weg, die Überschuldung zu reparieren, scheidet aus. Das Gleiche gilt für ein Herauswachsen aus den Schulden durch einen Mix aus Inflation und wirtschaftlichem Aufschwung, wie dies nach dem Zweiten Weltkrieg etwa den USA und anderen Ländern gelang. Heute sind in den Industriestaaten Wachstumsraten von dauerhaft vier oder fünf Prozent illusorisch. Bleibt also nur noch die Inflation, um die Schulden zu entwerten und sie im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, die dann nominal auch schneller wächst, wieder ins Lot zu bringen. Inflation ist so zwar Folge, gleichzeitig aber auch Lösung des Verschuldungsproblems. Wohlgemerkt: Wir sprechen von einer längeren, erhöhten Geldentwertung, nicht von Hyperin-flation und schon gar nicht von Währungscrash. Und die Verantwortlichen scheinen entschlossen, diesen Weg zu gehen.

Selbst die Notenbanken?

Stefan Riße: Zumindest sollten ihre Aktionen auf lange Zeit nicht über Kosmetik hinausgehen. Ohnehin betrachten sich Fed und heute auch EZB mehr als Unterstützer der Wirtschaft denn als Stabilitätswahrer. Und mit ihrer neuerdings propagierten „durchschnittlichen Inflationsrate“ schufen sie sich bereits ein Hintertürchen: Bleibt bei zwei Prozent Inflationsziel die Teuerung etwa für fünf Jahre nahe null – wie in Euro-Land bis 2020 –, kann sie ähnlich lange vier Prozent betragen ohne dass das Inflationsziel gerissen wird. De facto ein Freibrief für Nichtstun. Erst vergangene Woche versicherte die Fed, dass eine Zinserhöhung in weiter Ferne bleibe.

Null Zinsen und höhere Inflation – das klingt für Sparer alarmierend.

Stefan Riße: Das ist es auch, vor allem, wenn sie ihr Vermögen überwiegend in Sparguthaben, Festgeldern oder Versicherungen stecken haben wie die Bundesbürger. Und die Gefahr, die hier lauert, wird noch unterschätzt: Rollt die Inflation einmal an, ist sie erfahrungsgemäß so schnell nicht zu stoppen. Sie droht daher dauerhaft Geldvermögen anzuknabbern. Bei vier Prozent Geldentwertung müssten die Zinsen schon auf an die fünf Prozent steigen, damit für Sparer real noch was übrig bleibt. Das ist, wie gezeigt, illusorisch.

Was bleibt als Ausweg für die Sparer?

Stefan Riße: Weiterhin Sach- statt Geldwerte. Bei dem absehbaren Umfeld ist hier die Party noch lange nicht vorbei. Dazu zählen in erster Linie Aktien inklusive Rohstoffwerten. Ferner Edelmetalle, durchaus bis 20 Prozent des Depots, und hier vor allem Gold, weil weniger konjunkturabhängig als auch industriell genutzte Metalle. Bei Immobilien sollte man überteuerte Großstädte meiden zugunsten von mittleren Städten oder stadtnahem Land. Ich plädiere hier vor allem für die selbst genutzte Immobilie. Sie schützt auch vor steigenden Mieten. Dagegen scheidet die Eigentumswohnung zum Vermieten wegen sinkender Renditen und wachsender staatlicher Eingriffe vielerorts eher aus. Kryptowährungen wie Bitcoins sollten Kennern vorbehalten bleiben. Bei Aktien, direkt oder über Fonds unbedingt über Länder und Branchen breit streuen, um Klumpenrisiken zu vermeiden. Also: besser MSCI-World als nur Dax. Ganz wichtig dabei: Wir sprechen nicht über eine kurzfristige Spekulation, sondern über eine Anlage über etliche Jahre. Daher nicht nervös werden, wenn es an den Börsen mal wackelt. Mit dieser Strategie sollten Sparer auch bei steigender Teuerung gut fahren.