Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Bevor der berühmte 1999 verstorbene „Börsenguru“ André Kostolany seine Karriere als Börsenbuchautor und Kolumnist zu diesem Thema begann, schrieb der in Paris lebende gebürtige Ungar ein in Frankreich weit beachtetes Buch mit dem Titel: „La Paix du Dollar – Der Friede, den der Dollar bringt“. Das Buch wandte sich gegen den in Frankreich weit verbreiteten Anti-Amerikanismus, den es heute noch gibt. Kostolany hatte die Zeit des Zweiten Weltkrieges, geflüchtet vor den Nazis aus Paris, selbst in den USA verbracht. Er war überzeugt davon, dass die USA und eine französische Freundschaft mit den USA im starken Interesse von Frankreich lagen, insbesondere in Bezug auf die Außen- und Sicherheitspolitik. Dazu muss man verstehen, dass Frankreich sich stets als „Grand Nation“ empfand, in der Lage sich selbst zu verteidigen. Unter Staatspräsident Charles de Gaulle war Frankreich später dann zwischenzeitlich sogar aus der NATO ausgetreten. Die damalige französische Regierung allerdings war amerikafreundlich und der damalige Außenminister Robert Schuman ernannte Kostolany zum französischen Ritter der Ehrenlegion, eine in Frankreich hoch angesehene Auszeichnung, hierzulande wohl vergleichbar mit dem Bundesverdienstkreuz.
Weckruf NATO-Doppelbeschluss
Auch in Deutschland hält sich seit vielen Jahren wacker ein gut gepflegter Anti-Amerikanismus. Für viele ist dieses Land beinahe schuld an fast allem Übel auf der Welt. Seine internationalen Interventionen dienten stets nur der Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen, so die Argumentation. Wer es gern noch ein wenig antisemitisch hat, der behauptet, dass diese Politik von einem kleinen jüdischen elitären Zirkel gesteuert wird. Meine erste Beobachtung von Anti-Amerikanismus hierzulande erlebte ich als Heranwachsender 1983. Da sollten in Deutschland im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses Atomraketen des Typs Pershing 2 stationiert werden, als Gegengewicht zu den SS-20 Atomraketen der Sowjetunion. Die stark wachsende Friedensbewegung zog mit massiven Protesten gegen die Stationierung dieser Raketen auf die Straße. Gegen die SS-20 marschierten sie nicht. „Frieden schaffen ohne Waffen“, war ihr Leitspruch. Nur wie das gehen sollte, mit aufrüstenden Sowjets auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, darüber machte sich keiner so richtig Gedanken. Stattdessen hoffte man, dass eine solche Politik im Westen vorbildhafte Wirkung auf den Ostblock haben könnte. Dies war damals so naiv, wie es naiv war, bis vor ein paar Wochen zu glauben, Russland habe trotz aller Aufmärsche an der Grenze der Ukraine nichts mit diesen Truppen vor. Der Unterschied zu damals war nur, dass es damals kein neutrales Land in der Mitte zwischen beiden Machtblöcken gab. Man stand sich an der deutsch-deutschen Grenze direkt gegenüber. In Vietnam und anderen Teilen der Welt, wo es Konfliktherde zwischen kommunistischen und westlich orientierten Regierungen gab, wurden stattdessen Stellvertreterkriege geführt. Auch schon damals wurden Systemkritiker verbannt. Der bekannteste hieß damals Andrej Sacharow, heute heißt er Alexei Nawalny.
Ich konnte die Logik der Friedensbewegung schon damals nicht verstehen. Für mich klang der, einen Sturm der Entrüstung auslösende Satz „Der Pazifismus hat Ausschwitz überhaupt erst möglich gemacht“, vom damaligen und damals noch sehr scharfzüngigen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler viel logischer. Denn die Lehre der deutschen Geschichte musste ja zweifelsfrei sein, sich Aggressoren unverzüglich und entschieden entgegenzustellen. Die Appeasement-Politik der damaligen Siegermächte des Ersten Weltkrieges, die es Deutschland unter Adolf Hitler mit dem Münchener Abkommen ermöglichten, das Sudentenland zu annektieren, brachte eben keinen Frieden Es ermutigte die Nazis nur, die erkennbare Schwäche Europas auszunutzen, um dieses anschließend zu überfallen. Dieses Abkommen ist im Übrigen Gegenstand eines aktuellen Netflix-Films, für alle die sich für Geschichte interessieren. Es war am Ende Bundeskanzler Helmut Schmidt zu verdanken, dass er mit den Stimmen der Opposition den NATO-Doppelbeschluss durchsetze. Er läutete damit auch das Ende der von ihm geführten sozial-liberalen Koalition ein und auch das seiner eigenen Kanzlerschaft. Das Ende ist bekannt: Die NATO zeigte sich wehrhaft und rüstete mit seiner wirtschaftlichen Stärke die Sowjets in die Pleite. Man vertraute daraufhin dem Reformer Michael Gorbatschow die Führung des Sowjetreiches an, dass daraufhin zerfiel und uns die Wiedervereinigung brachte.
Russland hatte nie eine demokratische Kultur
Wie man in Deutschland und auch in anderen Ländern Europas so naiv sein konnte, zu glauben, Wladimir Putins Russlands könnte ein befreundetes Land sein, will mir genauso wenig in den Kopf wie die damalige Haltung, sich gegen gegnerische Raketen nicht schützen zu wollen. Spätestens seitdem oppositionelle Kräfte systematisch unterdrückt, eingesperrt oder ganz einfach aus dem Weg geräumt wurden, musste einem doch klar sein, dass das Werteverständnis dieses Russlands mit unserem nicht übereinzubringen ist. Brauchte es noch irgendeinen Beweis dafür, dass sich diese Aggression auch nach außen richtet, dann war es die Annexion der Krim. Natürlich, es gab Sanktionen, aber freudig haben wir weiter an der Pipeline Nord Stream 2 gebaut und uns noch abhängiger von russischem Gas gemacht. Und bei aller berechtigten Kritik an Gerhard Schröder und seiner Fehleinschätzung, in seinem Freund Putin einen Demokraten zu sehen, ist dies auch eine große Verfehlung der Regierung Angela Merkels. Sie hat diese Politik schließlich fortgesetzt. Bedacht hat diese Russland-Politik auch nicht die Tatsache, dass es in Russland ja nie eine demokratische Kultur gab, nicht unter den Zaren und auch nicht unter den Sowjets ab der Oktoberrevolution. Diese flammte nur einmal ganz kurz unter Michael Gorbatschow und Boris Jelzin auf und wurde kurzerhand von Putin wieder beerdigt. Die breite Bevölkerung in Russland hat das nicht gestört. Dass sich die Lebensverhältnisse nach den chaotischen Zeiten des Umbruchs unter Putin zunächst verbesserten, war für sie – nicht ganz unverständlicherweise – wichtiger.
Die USA fußen auf der Demokratie
Den Amerikanern, die die deutsche Russlandpolitik und die Pipeline Nord Stream 2 stets kritisierten, unterstellte man, dass sie nur daran interessiert seien, ihr eigenes Flüssiggas an uns zu verkaufen. Und selbst wenn dies ein Aspekt der Ablehnung von Nord Stream 2 durch die USA gewesen sein mag, es ist doch nur nachvollziehbar, dass eine Schutzmacht es einigermaßen irritierend findet, wenn der Staat, den es beschützt, das Gas bei dem Land einkauft, gegen das es im Notfall beschützt werden will. Denn bekanntermaßen haben wir ja in den vergangenen Jahren immer deutlich weniger für Rüstung ausgegeben als die USA und uns auf deren Wehrkraft mehr oder minder vollständig verlassen. Natürlich haben auch die USA keine rein weiße Weste. Sie haben Regime und Gruppen unterstützt, die mit ihren Werten auch nichts gemein hatten, nur weil sie vermeintlich das kleinere Übel waren. Den Irak unter Saddam Hussein als Bollwerk gegen den Iran selbst nach dem Golfkrieg weiter zu unterstützen, ist eines der traurigen Beispiele. Die Folterlager in Guantanamo sind ein Schandfleck in der amerikanischen Geschichte. Aber nichtsdestotrotz fußt die amerikanische Nation auf der Demokratie. Die „Checks and Balances“ funktionieren und haben verhindert, dass ein Donald Trump tun und lassen konnte, was er wollte, so wie dies Putin ganz offenbar kann. Deshalb hätte der Druck von außen viel früher viel stärker werden müssen. Statt Pipelines zu bauen, hätte man auf die Annexion der Krim schon mit den Sanktionen reagieren müssen, die wir nun verhängt haben. Sie hätten schon damals das richtige Signal ausgesendet. Stattdessen haben wir die Russen gewähren lassen und nun diesen verheerenden menschenverachtenden Krieg. Er muss insofern auch uns beschämen. Übrigens haben die geschäftstüchtigen Amerikaner derzeit jedenfalls gar nicht genügend Gas übrig, um es an uns zu liefern. Sonst hätten wir nicht diese Versorgungsprobleme.
Was hat all das nun mit der Börse zu tun, denn schließlich ist das hier ja eine Börsen-Kolumne? Kostolany war zu allen Zeiten von der friedensbringenden Kraft des Dollars und der USA überzeugt.
Damit war er in Geldanlagedingen stets gut beraten. Dies galt noch umso mehr für die letzten Jahre, die er gar nicht mehr erlebt hat. Denn die weltweit wertvollsten Unternehmen sind alle in den USA entstanden. Und vor dem Hintergrund der neuen sicherheitspolitischen Lage erscheinen diese gerade nach der aktuellen Korrektur wieder attraktiver als die meisten anderen Unternehmen, und die USA attraktiver als andere Regionen.
Ohne Frage, in China wuchsen auch starke Gegenspieler für diesen Teil der Welt heran. Deren Wert hat sich zuletzt aber stark gemindert, denn die Regulierung hat gezeigt, sie hängen vom gut Dünken ihrer Regierung ab. Es gibt keine Gerichtsbarkeit, die dafür sorgt, dass sich auch die Regierung mit ihren Regeln im Rahmen der Gesetze und der Verfassung bewegen muss. Auch hier sollte man die noch viel größeren Abhängigkeiten im Vergleich zu Russland auf der Zuliefer- sowie auf der Absatzmarktseite dringend reduzieren. Schon heute gibt es kaum zu übersehende Spannungen zwischen dem Westen und China. Allein diese sollten dem Westen eine Warnung sein, sich nicht zu abhängig von autokratischen Systemen zu machen. Wenn wir dies tun, sind wird durch diese Systeme erpressbar. Im Gegenteil, wir sollten auch die Abhängigkeit von China deutlich reduzieren.