Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
2024 wird ein Superwahljahr. Es gibt über 70 Wahlen und knapp die Hälfte der Weltbevölkerung wählt. Dazu gehören Russland, wo der Ausgang wohl klar sein dürfte, aber auch die Ukraine und Indien wählen.
Eine wichtige Wahl hat bereits stattgefunden: die Wahl in Taiwan. Die Börsen haben von ihr wenig Notiz genommen, was unverständlich ist. Denn wie sich China gegenüber Taiwan verhält, hing auch von dieser Wahl ab und ihr Ausgang war in Bezug auf den Konflikt des Riesenreiches mit der Insel, die es für sich beansprucht, der schlechtestmögliche.
Es gewann mit dem Kandidaten Lai Ching-te nämlich ein China-Kritiker, der als Separatist betrachtet wird. Zwar halten wir eine Invasion Chinas in Taiwan nach wie vor für unwahrscheinlich, aber durch diese Wahl ist das Risiko zumindest gestiegen. Träte dieses Szenario ein, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) berechnet, würde die Weltwirtschaft um zehn Prozent schrumpfen.
Das wäre mehr als in der Finanzkrise und auch während der Coronakrise. Es liegt daran, dass Taiwan mit Abstand der größte Chiplieferant ist, und man muss sich nur an die Chipknappheit in der Coronakrise erinnern, um zu erahnen, welche Auswirkungen dies auf die Lieferketten hätte. Auch geht ein großer Teil des weltweiten Seeverkehrs durch die Straße zwischen Taiwan und China. Selbst eine bloße Blockade würde die Weltwirtschaft laut Berechnungen des IWF wohl um vier Prozent schrumpfen lassen.
Europa zittert vor Populisten
Dann haben wir in Europa im Juni die Wahlen zum Europaparlament. Die Populisten sind auch hier auf dem Vormarsch. Vor allem in Bezug auf Frankreich wird es knapp. Der überzeugte Europäer Emanuel Macron liegt in den Umfragen hinter der europakritischen Marine Le Pen vom Rassemblement National.
Sollten sich die Populisten im Europaparlament durchsetzen, wäre das für die Eurozone keine gute Nachricht. Sie ist bei den höheren Zinsen, wie wir sie mittlerweile haben, ohnehin wieder gefährdeter. Es wäre aber auch ein Fingerzeig auf die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Nicht auszurechnen, was es für Europa bedeuten würde, würde Marine Le Pen Präsidentin.
In Deutschland steht vor allem die Landtagswahl in Sachsen im Fokus. Die AfD liegt hier in Umfragen vorne. Und selbst wenn sie am Ende keine Regierung bilden kann, weil niemand mit ihr koalieren will, ist das Signal an die dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland, aber auch an ausländische Investoren ein fatales. Die Dax-Unternehmen agieren international. Sie wären wahrscheinlich am wenigsten betroffen, aber der Mittelstand und die kleineren Unternehmen würden sicherlich leiden.
Die US-Wahl bleibt unberechenbar
Die wohl wichtigste Wahl findet dann im November statt, wenn die Amerikaner einen neuen Präsidenten wählen. Die Vorwahl in Iowa hat eines sehr deutlich gezeigt: Wenn nicht irgendein Gerichtsverfahren Donald Trump stoppt, wird er wieder der Kandidat der Republikaner. Und in den Umfragen liegt er gegen den Amtsinhaber Joe Biden ziemlich gut.
Was bedeutet das für die Börsen? Es ist im Grunde unberechenbar, genauso wie Donald Trump selbst. Dieser sagt an einem Morgen, er überhäufe die Ukraine mit Waffen, und am Abend, dass er den Krieg und die Unterstützung sofort beendet.
Wahrscheinlich dürften die Auswirkungen auf den Rest der Welt und vor allem auf Europa, das auf die USA als Schutzmacht angewiesen ist, stärker sein als auf die USA selbst. Sollte sich eine Wahl Trumps abzeichnen, bin ich nicht mal sicher, ob die Börsen auf Tauchstation gehen würden, zumindest nicht die Wall Street. Schließlich hat sie unter Trump aufgrund der Steuersenkungen, die er den Unternehmen gewährt hat, eine gute Zeit erlebt.
Vieles aber würde durcheinandergewirbelt. Glaubt der ehemalige Immobilien-Tycoon doch schließt nicht an den Klimawandel und den Kampf gegen ihn. Der viel beachtete Inflation Reduction Act würde womöglich wieder rückgängig gemacht. 2024 wird insofern ein sehr spannendes Jahr, in dem man eine Börsenweisheit besonders beachten sollte: Immer Angst haben, nie erschrecken!