Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Seit 1985 bin ich aktiver Börsianer. Zu dieser Zeit war ich Schüler der zehnten Klasse. Wer damals richtig Spaß haben wollte, der zockte mit japanischen Aktien herum. Den Zertifikate-Markt wie heute gab es noch nicht, da Termingeschäfte Privatanlegern nicht zugänglich waren. Die damaligen Optionsscheine waren von Optionsanleihen abgetrennt worden, sie wurden daher als Wertpapier qualifiziert. Es gab auch auf deutsche Aktien welche, aber deutlich mehr Musik war in den japanischen.
Warum? Ganz einfach, die japanische Börse war damals der Highflyer wie es heute die Nasdaq ist, wenn nicht sogar noch mehr. Viele Jahre war der japanische Leitindex Nikkei unaufhörlich nach oben geklettert und das deutlich stärker als etwa der Dow Jones in den USA. Entsprechend hoch waren die Bewertungen.
Das überlegene japanische Wirtschaftsmodell
Im Zuge der Hausse japanischer Aktien waren deren Kurs/Gewinn-Verhältnisse Ende der Achtzigerjahre auf durchschnittlich 70 bis 90 geklettert. Obwohl diese Bewertungen vollkommen überzogen waren, verstummten die Stimmen der Mahner irgendwann. Zu lange hatten sie danebengelegen, als das noch jemand auf sie hören wollte.
Denn wann immer das eigentlich Unlogische zu lange anhält, suchen die Marktteilnehmer nach Begründungen, die genau diese überzogenen Bewertungen rechtfertigen. Und so wurde die Geschichte vom überlegenen japanischen Wirtschaftsmodell erfunden. Buch um Buch wurde hierrüber geschrieben. Eines hieß „Das leise Lächeln des Siegers“.
Auch die Industrie warf den Blick nach Japan. Begriffe wie Kaizen, was so viel heißt wie “Veränderung zum Besseren”, wurden zu Schlagworten in deutschen Chefetagen. Japanische Berater liefen zuhauf in deutschen Automobilfabriken herum, um die heilsbringende Lehre dort zu verkünden.
Vieles war durchaus richtig und die Japaner in den neunziger Jahren der deutschen Automobilindustrie auch einen großen Schritt voraus in der Produktionstechnik, nur die Börse war eben gleich zehn Schritte voraus. Die Geschichte endete, wie sie immer endet, wenn Börsenkurse überzogen teuer sind. Aus dem leisen Lächeln des Siegers wurde eine krachende Niederlage.
35 Jahre Baisse
Im Dezember erreichte der Nikkei mit knapp 40.000 Punkten seinen Rekord. Ab dann ging es abwärts. Was war geschehen? Die japanische Notenbank, Bank of Japan, sah sich gezwungen, den Boom einzudämmen. Noch stärker als die Aktien waren nämlich die Immobilien gestiegen. Der einfache Japaner hauste mit acht Leuten in 60 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnungen.
In der Inflationsrate, die stets niedrig war, wurden die rasant steigenden Mieten nicht sichtbar, denn sie waren nicht Teil des Warenkorbs. Die restriktive Geldpolitik ließ dann die Immobilien- und Aktienblase platzen. Es begann ein schmerzlicher Anpassungsprozess, der eine jahrelange Abwärtsbewegung am Aktienmarkt auslöste und auch die japanische Wirtschaft über Jahrzehnte in einem deflationären und rezessiven Umfeld zurückließ.
In der abgelaufenen Woche ist es dem Nikkei nun gelungen, seinen Höchststand von damals wieder und ein neues Allzeithoch zu erreichen. Ohnehin war die japanische Börse bereits im vergangenen Jahr und ist auch seit Jahresanfang in Bezug auf die Wertentwicklung eine der besten.
Die jahrelange Rosskur hat zum Verschuldungsabbau bei den Unternehmen geführt und nicht lebensfähige Unternehmen und Banken aussortiert. Die Bewertungen sind heute – 35 Jahre später – durchaus gesund. Trotz der zuletzt doch deutlich gestiegenen Kurse bleibt die japanische Börse attraktiv. Sie profitiert vor allem von der Schwäche des Yen, der japanischen Unternehmen erhebliche Vorteile auf den Exportmärkten bringt.