Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Es kommt bei den Haushaltsberatungen für das Jahr 2025 zu einem wahrhaften Showdown. Fast alle Ressorts fordern mehr Geld als sie bekommen können. Finanzminister Christian Lindner lehnt die Vorschläge daher ab. Formal gesehen kann er gar nicht anders, die Schuldenbremse, die eine maximale Neuverschuldung von 0,35 Prozent pro Jahr erlaubt, zwingt ihn dazu. Allerdings stellt er sich auch persönlich hinter die Schuldenbremse und lehnt Sonderhaushalte ab, wie es diesen zum Beispiel in der Corona-Krise gab. Zwischen ihm und Verteidigungsminister Boris Pistorius ist ein offener Streit ausgebrochen, denn Pistorius fordert für die Bundeswehr einen solchen Sonderhaushalt. Das ist nur nachvollziehbar.
Die neue Sicherheitslage, die seit Ausbruch des Ukraine-Krieges offenkundig ist, verlangt, dass Deutschland wieder wehrfähiger wird. Das gilt umso mehr, sollte Donald Trump wieder zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden. Das Beistandsversprechen der USA wackelt dann, insbesondere wenn Deutschland auch zukünftig deutlich weniger in Relationen zu seinem Bruttoinlandsprodukt für die Verteidigung ausgibt als die USA. Hier kann man Trump durchaus verstehen. Ohne Sonderhaushalt wird dies aber nicht möglich sein.
Nicht nur für die Bundeswehr muss mehr Geld bereitgestellt werden
Wäre es nur der Verteidigungshaushalt, der aufgestockt werden muss, ließe sich sicherlich ein Weg finden. Aber dieses Land muss momentan an extrem vielen Stellen massiv investieren. Da ist die marode Infrastruktur, insbesondere die der Bahn, aber auch der Brücken von Bahn und Straße. Hinzu kommt die riesige Aufgabe, dieses Land klimaneutral zu machen. Zudem ist Deutschland als Investitionsstandort auch deswegen unattraktiv, weil die Abgabenlast zu hoch ist. Lindner will deshalb die Steuern senken, hat dafür aber selbst keinen Spielraum.
Die Schuldenbremse muss schnellstens weg
Wenn Deutschland in vielen Bereichen nicht vollkommen zurückfallen will, muss die Schuldenbremse schnellstmöglich abgeschafft werden. Wir haben uns da ein Korsett geschnürt, das viel zu eng ist. Wie sollen wir beispielsweise mit den USA mithalten, die sich seit der Finanzkrise ständig zwischen drei und zehn Prozent verschulden. In diesem Jahr sind es rund sieben Prozent. Das ist womöglich übertrieben in die andere Richtung, sorgt aber für einen enormen Auslandsinvestitionsschub auf der anderen Seite des Atlantiks. Auch Frankreich zieht mittlerweile durch Strukturreformen im Bereich des Arbeitsmarktes, der Renten und einer Unternehmenssteuerreform in Sachen Auslandsinvestitionen an Deutschland vorbei. Während seit 2017 hierzulande die Auslandsinvestitionen um 35 Prozent zurückgegangen sind, sind sie in Frankreich um 20 Prozent gestiegen. Es ist also allerhöchste Zeit, die wichtigen Investitionen vorzunehmen. Kein anderes Land hat eine solche Schuldenbremse in der Verfassung verankert und das aus gutem Grund.
Konservative Ökonomen irren
Konservative Ökonomen, die die Schuldenbremse nach wie vor verteidigen, meinen, man solle einfach die sinnlosen Ausgaben des Staates einsparen und so die notwendigen Investitionen finanzieren. Das ist nicht von der Hand zu weisen, aber kaum praktikabel. Denn diese Forderung gibt es seit Jahrzehnten, keine Regierung aber hat es geschafft, hier so konsequent zu sparen. Subventionen streichen, lautet oft das Stichwort. Wir haben aber gesehen, welchen Aufstand allein die Streichung der Agrardieselsubventionen hervorgerufen hat. All diese Kämpfe zu führen, dafür reicht die Zeit nicht.
Die konservativen Ökonomen leben in einer Modellwelt, die es nicht gibt. In einer Demokratie lassen sich Sparmaßnahmen nur bis zu einem gewissen Grad durchsetzen, ansonsten wird man abgewählt. Die Nachfolgeregierung gibt das Geld dann wieder aus, um ihre Wahlversprechen zu erfüllen. Deutschland war das erste Land, dass das Maastricht-Kriterium einer Neuverschuldung von drei Prozent pro Jahr vom Bruttoinlandsprodukt gerissen hat, und zwar in der Zeit als die Hartz-Reform der Agenda 2010 eingeführt wurden. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder wusste, dass man Grausamkeiten nur begehen kann, wenn man vorübergehend woanders ein bisschen lindert. Emmanuel Macron macht es in Frankreich jetzt nicht anders.
Die CDU ist keine Lösung des Problems, sie macht es eher schlimmer
Das dramatische an der Situation ist, dass auch mit einem Regierungswechsel hin zu einer CDU-geführten Regierung eine Abschaffung oder Aufweichung der Schuldenbremse kaum noch denkbar ist. In verantwortungsloser Weise hat sich der vermeintliche Kanzlerkandidat der CDU Friedrich Merz auf dem jüngsten Parteitag nochmals für die Schuldenbremse ausgesprochen. Von diesem Standpunkt wird er kaum wegkommen, zumal er der aktuellen Regierung das Umwidmen des Corona-Sonderhaushaltes ja beim Verfassungsgericht weggeklagt hat. Die dann in der Opposition befindlichen Parteien würden den Spieß sicher umdrehen, würde er die Schuldenbremse antasten.
Aktieninvestitionen in Deutschland fordern mehr Selektivität
Ist der deutsche Aktienmarkt damit abzuschreiben? Schaut man sich die jüngsten Rekorde im DAX an, ganz offenbar nicht. Irrt der Markt hier kolossal? Nicht unbedingt. Man darf nicht vergessen, dass die DAX Unternehmen ihre Umsätze zu 80 Prozent im Ausland erzielen. Dennoch werden Investitionen in deutsche Aktien in Zukunft mehr Selektivität erfordern. Lange lief der MDAX beispielsweise besser als der DAX. Die im MDAX enthaltenen Unternehmen sind allerdings mehr von der heimischen Konjunktur abhängig, warum er wahrscheinlich zuletzt auch deutlich schlechter lief.
Man wird sich also bei deutschen Aktien anschauen müssen, wie sehr sie vom Standort Deutschland und der hiesigen Konjunktur abhängen. Ist die Abhängigkeit stark, ist Vorsicht angebracht. Denn so wie es derzeit aussieht, besteht wenig Hoffnung, dass dieses Land sich runderneuern kann. Die Fähigkeit hätten wir ganz sicherlich, die Schuldenbremse, sorgt aber dafür, dass wir mit der aktuellen Politikergeneration ungebremst gegen die Wand fahren. Wahrscheinlich muss es erst noch deutlich schlechter werden, bevor sich die Parteien für das Richtige entscheiden, und nicht für das, was in Deutschland populär ist. Denn die breite Bevölkerung glaubt ja immer noch, ein solider Staatshaushalt sei der Weg zu mehr Wohlstand. Länder wie die USA und China zeigen, dass dies nicht der Fall ist, wenn die Schulden für die richtigen Maßnahmen ausgegeben werden.