Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Kursverlusten seit August reif waren für eine technische Erholung. Da vermeldete die Statistikbehörde in den USA einen Zuwachs von über 335.000 neuen Stellen, fast doppelt so viele, wie der Markt erwartet hatte.
Wegen der Schätzkomponente der sogenannten Geburten/Sterbe-Tabelle muss man an die absoluten Zahlen zwar sicher einige Fragezeichen machen, am Ende kommt es aber eben auf die Erwartungen an und um wieviel diese übertroffen oder unterboten werden. Und es ist eben auch die Zahl, die die US-Notenbank Federal Reserve zur weiteren Bestimmung ihres geldpolitischen Kurses betrachtet.
Demgemäß war die Zahl vom Freitag ein Paukenschlag. Weil Zinssenkungen damit noch ein Stück weiter in die Ferne rückten und sogar weitere Zinsschritte nach oben wieder wahrscheinlicher wurden, reagierte die Wall Street vorbörslich mit Veröffentlichung der Zahl um 14:30 Uhr unserer Zeit mit deutlichen Abschlägen.
Die Märkte in Europa machten es ihr wie üblich nach. Doch die Verluste wehrten nicht lange. Im Verlauf der Präsenzsitzung drehten die Kurse wieder und schlossen zum Börsenschluss um 22:00 Uhr sogar erheblich höher als sie vor den enttäuschenden Daten vom US-Arbeitsmarkt notiert hatten.
Fällt der Markt bei schlechten Nachrichten nicht, ist er überverkauft
Die Reaktion auf den Arbeitsmarktbericht war ein klarer Hinweis auf die technische Verfassung des Marktes. Denn eine alte Börsenregel besagt: Fällt der Markt trotz schlechter Nachrichten nicht mehr, ist er überverkauft.
Den nächsten Test dieser Art bekamen die Aktienmärkte dann am darauffolgenden Montag mit dem brutalen Angriff der radikal-islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel vom Wochenende. Weil eine Ausweitung des Konfliktes auf den Iran und damit auf die Ölversorgung durch die Straße von Hormus nicht ausgeschlossen werden kann, hat dies durchaus Bedeutung für die Aktienmärkte.
Erwartungsgemäß gingen Teile der Kursgewinne vom Freitag am Montag dann zunächst auch wieder verloren. Doch auch diese Verluste währten nicht lange. Wie schon am Freitag kam es im Verlauf des Tages zu einer Marktumkehr nach oben.
Stimmungsindikatoren haben die Erholung angezeigt
Die beschriebenen Kursbewegungen machen einmal mehr deutlich, wie wichtig für die kurzfristige Tendenz die Markttechnik ist, oder anders ausgedrückt wie entscheidend diese von der jeweiligen Positionierung der Anleger abhängt.
Diese hatten sich aufgrund der zuletzt deutlich gestiegenen Zinsen an den Anleihemärkten, die entsprechende Kursverluste nach sich gezogen hatten, zunehmend abgesichert. Dies war sehr klar an den Put/Call-Ratios ablesbar, die steil anstiegen auf Levels, die wir zuletzt Anfang des Jahres gesehen hatten.
Dazu kamen dann wie üblich die Short-Positionen derer, die auf fallende Kurse setzen. Im Verlauf dieses Jahres haben wir dies immer wieder erlebt. Fielen die Kurse dann nicht, sondern begannen zu steigen, mussten diese Marktteilnehmer – oft Hedgefonds – ihre Positionen durch Rückkäufe wieder eindecken. Die Käufe trieben die Kurse dann weiter nach oben.
Geldpolitik vs. Markttechnik, nächste Runde
Aktuell sind wir wieder in einer Marktphase, die für die Pessimisten ungemütlich wird. Die Frage lautet nun, ob es bei einer kurzen technischen Erholung bleibt oder wir neue Jahreshöchstkurse sehen.
Ich habe mich bereits das gesamte Jahr weit aus dem Fenster gelehnt und prognostiziert, dass die restriktive Geldpolitik und auch die Zinsanstiege am langen Ende die mittelfristige Tendenz dominieren und die Aktienmärkte nochmal deutlich fallen werden. Ob dies noch in diesem Jahr oder erst 2024 passiert, ist schwer zu sagen.
Ich glaube aber nicht, dass wir die Jahreshöchststände zwischenzeitlich nochmals überbieten. Spannend wird sein, wie es in der kommenden Woche weitergeht. Die September-Inflationszahlen aus den USA haben die Märkte jedenfalls schon nicht mehr so ohne weiteres weggesteckt.