Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Nichts los an den Börsen – von Sonderbewegungen durch das Rein-Raus der Stockpicker und Trader abgesehen. Viele Profis machen zwischen den Jahren Urlaub, neue Analysen der Aktienmärkte sind Mangelware. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern.
Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Wochen zahlreiche Wiederholungen früherer Börsenprognosen auf den Schirm kriegen werden oder leichte Korrekturen der bekannten Erwartungshaltung. Ansonsten dürfte sich erst einmal die volatil-uneinheitliche Kursentwicklung von Dax & Co. fortsetzen – vielleicht bis ins zweite Quartal 2023 hinein. Irgendwelche Überraschungen können dabei natürlich nicht einkalkuliert werden.
Die Volkswirtschaft entwickelt sich mit beiden Vorzeichen: Sie wird nach Einschätzung vieler Ökonomen 2023 schrumpfen, die Teuerung dürfte aber zunächst hoch bleiben. Dennoch ist das Bild längst nicht mehr so düster wie vor Monaten – auch weil der Staat mit Preisbremsen und milliardenschweren Entlastungspakten gegensteuert. Die Sorge vor einem schweren Konjunktureinbruch im neuen Jahr schwindet zunehmend, die konjunkturellen Rahmenbedingungen haben sich deutlich entspannt.
Viele Experten gehen inzwischen von einer vergleichsweise milden Rezession 2023 aus. Sie erwarten im Gesamtjahr 2023 einen BIP-Rückgang um weniger als 1 Prozent. Zum Vergleich: Im Corona-Krisenjahr 2020 war die Wirtschaftsleistung von Europas größter Volkswirtschaft um mehr als 4 Prozent geschrumpft. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet für 2023 sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent. Inflationsraten von um die 10 Prozent belasten Verbraucher und Unternehmen in Deutschland. Die Bundesbank macht den Menschen vorerst wenig Hoffnung auf deutlich sinkende Preise. Für 2023 rechnet sie mit einem Rückgang der Teuerung von durchschnittlich 8,6 Prozent im Jahr 2022 auf dann 7,2 Prozent – emessen am für die Geldpolitik im Euroraum maßgeblichen harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI).
Wenn man diese und andere Indikatoren der Wirtschaft ausblendet, bleiben dennoch düstere politische Schatten. Zum einen signalisiert die aktuelle Nachrichtenlage kein nahendes Ende der russischen Aggression. Im Gegenteil wachsen die Sorgen über eine weitere Eskalation des Kriegs in der Ukraine – mit allen möglichen Folgen für Verbraucher und Wirtschaft in ganz Europa. Nicht zu vernachlässigen ist auch das Look-east: China & Corona bleiben ein Risikofaktor, der aktuell (noch) keine gravierenden Spuren in den Börsenkursen hinterlässt.
Ihr wisst ja, geschätzte Anleger, dass Angst und Gier schlechte Ratgeber für die Börse sind. Deshalb meine Empfehlung: Das geopolitische Umfeld der Finanzmärkte ist gefährlich. Mit bereitet es jedenfalls große Sorgen. Wer von Ihnen, liebe Leser, ähnlich wie ich Angst vor diesem Risiko hat, sollte sich genau überlegen, ob er in diesen Tagen größere Engagements am Aktienmarkt eingehen muss.