Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Lehnen Sie sich mal zurück, schließen die Augen und versuchen Sie sich dann den mutmaßlichen Verlauf der Börse im neuen Jahr vorzustellen. Gar nicht so einfach. Meist sind die Märkte zum Jahreswechsel eher zuversichtlich gestimmt – nach dem Motto „Neues Spiel, neues Glück“. Diesmal gab es weder festliche Vorweihnachstage noch eine Jahresschluss-Rally. Immerhin, der Dax hat seine Schwäche erst mal überwunden und Kondition entwickelt. Was heißt das aber für 2023? Die kürzeste Prognose im Anschluss an das jetzt zu Ende gehende Katastrophenjahr lautet: Uneinheitlich. Etwas mehr sagt die Trendvorhersage „Unsicher, aber nicht mehr nachhaltig schwach“ aus. Vielleicht sind Sie aber noch mutiger, geschätzte Anleger, und schließen sich der bullischen Erwartung an „Im Jahresverlauf zunehmend freundliche Börsen durch die Normalisierung von Inflation und Zinsen.“
Skeptiker werden den Kopf schütteln. Und sie haben gute Argumente. Beispielsweise der Hinweis auf ein aktuelles Interview, in dem Bundesbank-Präsident Joachim Nagel den Optimismus bremst: Er rechnet im Kampf der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen die ausufernde Inflation mit keinen schnellen Erfolgen. „Das wird noch eine Zeit dauern, bis die Inflation wieder dort ankommen wird, wo sie hingehört, nämlich bei 2 Prozent”, sagte Nagel am Montagabend ausgestrahlten Interview. „Das heißt, wir werden noch durch einige harte Monate gehen.” Ist das zu negativ gesehen?
Es gibt auch neue Signale, die auf ein Abflauen der hohen Inflation hinweisen: Die deutschen Hersteller senkten ihre Preise für gewerbliche Produkte im November bereits den zweiten Monat in Folge deutlich. Die Erzeugerpreise gaben wegen günstigerer Energie um durchschnittlich 3,9 Prozent zum Vormonat nach, wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit minus 2,5 Prozent gerechnet. Im Oktober hatte es mit 4,2 Prozent den ersten Rückgang seit zweieinhalb Jahren und zugleich den stärksten seit Beginn der Statistik 1949 gegeben. Im Vergleich zum Vorjahresmonat schwächte sich die Teuerungsrate diesmal auf 28,2 Prozent ab, nachdem es im August und September mit jeweils 45,8 Prozent die höchsten Anstiege seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949 gegeben hatte.
Nicht schlecht auch eine Ifo-Umfrage: Die Stimmung unter den deutschen Exporteuren hat sich leicht verbessert. Die Exporterwartungen sind im Dezember auf plus 1,6 Punkte gestiegen, von plus 0,9 Punkten im November. Die deutsche Industrie startet vorsichtig optimistisch ins neue Jahr mit Blick auf ihre Ausfuhren. Ich schlage vor, liebe Leser, wir nehmen zum Einstieg in 2023 folgende vier Punkte, die uns soeben die Analysten der Helaba liefern:
• Inflation sinkt 2023, das Niveau bleibt aber hoch
• Deutschland steht vor einer leichten Rezession
• Geldpolitik auch 2023 im Straffungsmodus
• Anleihekurse dürften im ersten Halbjahr unter Druck bleiben