Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Jetzt Aktien kaufen? Und welche? Es gibt jede Menge Empfehlungen, wie Anleger bessere Ergebnisse (möglichst besser als der Markt) erzielen können. Klar, dass die mutmaßlich heißen Tipps besonderes Interesse finden, wenn Börsen und ihr Umfeld so unsicher sind wie jetzt. Denn so ziemlich alles ist in Frage gestellt und wird von Analysten und Volkswirten entsprechend unterschiedlich beantwortet. Mit der Dauer sind dadurch auch die Fortschritte der deutschen Aktienkultur gefährdet. Die hohe Volatilität der Kurse schreckt nämlich viele Privatanleger ab. Sind Aktien doch nichts für mich? Ist das Risiko nicht doch zu groß (trotz jahrelang hoher Wertsteigerungen)? Ich bin schon gespannt, was uns die nächsten Aktionärsstatistiken dazu sagen werden.
Um insbesondere die Börsenneulinge bei der Stange zu halten, empfiehlt sich jetzt schon, die Grundsätze für eine erfolgversprechende Anlagestrategie immer wieder zu erläutern – es geht nicht nur um die aktuell diskutierten Chancen und Risiken im Vergleich mit anderen Anlageklassen. Basis sollten stets die persönliche Ausgangslage und Anlageziele sowie die individuelle Risikobereitschaft sein. Davon lässt sich dann die „Portfolio-Allokation“ ableiten, also die Aufteilung nach Anlageklassen.
Derzeit wird das Prinzipielle aber ganz von der Aktualität überlagert – kein Wunder angesichts der überall Besorgnis erregenden wirtschaftlichen und politischen Probleme. Was wird aus dem Ukraine-Krieg und seinen Folgen, wie geht es mit Inflation und Konjunktur weiter, wie stark und wann werden die Notenbanken die Zinsen erhöhen, kommt die chinesische Wirtschaft bald wieder auf die Beine? Zuverlässige, sichere Antworten kann es nicht geben. Deshalb spielen kurzfristige und spekulative Einflüsse für die Marktentwicklungen seit Jahresbeginn die Hauptrolle.
Nur ändert das nichts am Grundsatz, dass die Aktienanlage langfristig – über möglichst viele Jahre – ihre überragende Qualität beweist. Wo sonst könnte der Privatanleger durchschnittlich 6 bis 9 Prozent Rendite pro Jahr (!) einfahren, und dass trotz zwischenzeitlicher Kursrückschläge und Baisse-Phasen? Nicht zu vergessen, dass man die Verlustrisiken durch diverse Absicherungsmaßnahmen begrenzen kann.
Es ist also gerade jetzt eine wichtige Aufgabe für professionelle Börsianer und die Medien, nicht nur einzelne Anlagechancen zu beschreiben und konkrete Tipps zu veröffentlichen, sondern die grundsätzliche Bedeutung von Langfristigkeit und Mischung beim Aktieninvestment herauszustellen. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass der Anlagezeitraum für die Performance wichtiger ist als der Anlagezeitpunkt. Deshalb sind Aktien- bzw. Aktienfonds-Sparpläne besonders gut geeignete Instrumente für ein langfristiges Investment, das der (Alters-)Vorsorge dienen soll.