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Kutzers Zwischenruf: Achtung – eine historische Phase auch für die Börse

Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”

Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und dann Wochen, in denen Jahrzehnte passieren. Dieses bekannte Zitat wird Lenin zugeschrieben, der es nach anderen Vermutungen so aber nicht gesagt hat. Trotzdem – Analysten haben den Spruch wieder aufgegriffen. Und das nicht von ungefähr: Erlebt die Welt nicht gerade jetzt Wochen und Monate, in denen Jahrzehnte passieren? Ich befürchte, alles kann anders werden, alles ist möglich. Kapitalanleger sollten sich darauf einstellen.

Ich behaupte: Alles ist in Bewegung geraten – die Geopolitik, die Weltwirtschaft und die Geldpolitik der Notenbanken. Rasch erkennt man, dass alles zusammenhängt und sich die bestehenden Strukturen am Ende entscheidend verändern können. Dass jedermann betroffen ist, wird spätestens mit der Pandemie, der Inflation, der explosionsartigen Verteuerung der Energie und der Verknappung von Lebensmitteln deutlich. Zusammen mit dem Ukraine-Krieg haben wir es also mit gewaltigen historischen Entwicklungen zu tun. Nur die Aktienkurse spiegeln das (noch) nicht wider. Auf die relative Gelassenheit der Börse sollte man sich jedoch nicht verlassen. So kann sich die aktuelle Schwächeneigung zu einer langanhaltenden Baisse entwickeln – kann. Wer von Ihnen, geschätzte Anleger, sein Portfolio den gefährlichen Umweltbedingungen vorsichtshalber anpassen möchte, hat noch die Gelegenheit dazu. Ob mit dem „Sell-in-May-Argument“ im Rücken oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle.

Doch gibt es zahlreiche Möglichkeiten, mit einem Vermögen voll auf Vorsicht zu gehen. Einfach (und empfehlenswert) sind schon die rein quantitativen Maßnahmen: Man reduziert seine Wertpapierengagements um X Prozent oder konzentriert sie durch gezielte Verkäufe auf die vergleichsweisen sicheren Positionen. Daneben sollten Stop-Loss-Limits und andere Maßnahmen zur Verlustbegrenzung gecheckt werden. Ich rate ferner dazu, weltweit gestreute Aktienpositionen auf bestimmte Regionen, Länder und Themen zu beschränken (Aktien grundsätzlich ja!). Hierzu gibt es natürlich unterschiedliche Ansichten. Europa hätte dann keine Priorität – stattdessen die USA schon aus geografischen Gründen. Auch China und andere bedeutende Emerging Markets würde ich zurückfahren. Andererseits gehört das weite Feld von Health Care (von Pharma bis Medizintechnik) seit langem zu meinen Favoriten (Beispiel seit Jahren: der Insulin-Gigant Novo Nordisk). Statt hohe Liquidität in Euros und/oder Dollars zu fahren, würde ich meine Goldposition kontinuierlich aufbauen, dabei kleine Münzen und Barren bis zu je 1 Feinunze bevorzugen. Vergessen Sie die momentanen Goldpreise in Dollar gerechnet und setzen Sie auf das gelbe Edelmetall als das bessere Geld!

Wo sich künftig die größten Chancen und Risiken aus dieser Gemengelage entwickeln werden, muss sich noch erweisen. Eine wichtige und wegweisende Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass Rückschläge schneller aufgeholt werden, als sich dies die meisten Marktteilnehmer vorher vorstellen konnten. Daher gilt trotz aller Vorsicht: Eilige Überreaktionen (= nervöse Hektik) werden selten belohnt. Wer dagegen eine ruhige Hand besitzt, fährt langfristig meist besser.