Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Kutzers Zwischenruf:
Ist die Party jetzt over?
Die Gemeinde der Anlagestrategen ist verunsichert. Seit der vergangenen Woche gehen Analysen und Prognosen weiter auseinander als zuvor. Die Meinungsvielfalt reicht von Gelassenheits-Appellen bis zu Crash-Warnungen. Es geht nicht mehr in erster Linie um die weitere Entwicklung von Corona/Omikron. Denn die zunehmenden geopolitischen Sorgen, es könnte eine militärische Eskalation im Ukraine-Konflikt geben, treffen mit einer Neueinschätzung der amerikanischen Notenbankpolitik zusammen. Damit ist die bisherige Mehrheitsmeinung, dass sich Wirtschaft und Börsen nach einem schwierigen ersten Quartal im weiteren Jahresverlauf weiter nach oben orientieren dürften, erst einmal in Frage gestellt. Ist damit die historisch lange Party an den Aktienmärkten vorbei? Ich mag mich (noch) nicht zu einer eindeutigen Antwort entscheiden.
Dennoch sympathisiere ich mit der unaufgeregten Lagebeschreibung von Hans-Jörg Naumer: Insgesamt ist die Unruhe gestiegen, bestätigt der Chefstratege von Allianz Global Investors, und verweist auf „CISS“ („Composite Indicator of Systemic Stress in the Euro Area“) der EZB und das Äquivalent der St. Louis Fed sowie die gestiegene Volatilität an den Aktien- wie an den Anleihemärkten. Auch das mediale Stimmungsbild dreht in den großen Regionen wieder mehr in Richtung von Meldungen, bei denen Themenkomplexe um „Unsicherheit“ zunehmen, wie der Economic Policy Uncertainty Index zeigt. Die technische Verfassung ist angeschlagen. Die Risikofreude schwappt zurück.
Dennoch: Bei allen Verstimmungen, welche eine straffere Geldpolitik bringt, sind zwei Dinge wichtig. Auch wenn die Flut etwas zurückgeht, Liquidität bleibt üppig vorhanden, was bei einer soliden Konjunktur mittelfristig für Aktien sprechen sollte, auch wenn es zwischenzeitlich schwächere Tage geben dürfte. Eine Zentralbank, die sich in Richtung geldpolitischer Normalität entwickelt, setzt klare Signale, dass sie Konjunktur wie Finanzmärkte für ausreichend stabil dafür hält. „Das sind gute Signale“, beruhigt Naumer.
Was können Sie, geschätzte Anleger, in einer solchen Phase zunehmender Unsicherheit tun (wenn Sie nicht nur zuschauen wollen)? Mein Vorschlag wäre, sich fürs erste ganz auf besonders langfristige Engagements zu beschränken – also auf Aktien- und Fondssparpläne für die private Vorsorge. Bei einer Spardauer von 20 Jahren konnte man mit dem Dax in der Vergangenheit eine durchschnittliche Rendite von 8,7 Prozent pro Jahr erzielen. Nach zwölf Jahren lag man mit einer breitgestreuten Aktienanlage immer im Plus. Deutlich wird, dass langfristiges Sparen die Rendite stabilisiert. Wer beispielsweise seit Ende 2000 monatlich 100 Euro in einen Aktiensparplan angelegt hat, konnte sich Ende 2021 über 60.000 Euro freuen. Die eingezahlten 25.200 Euro haben in dieser Zeit rund 35.000 Euro erwirtschaftet.