Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Kutzers Zwischenruf:
Die Inflation wird (leider) zum Dauerthema
Schon bei meiner frühmorgendlichen Presseschau hat sie sich zurückgemeldet – die Inflation. Denn „Bild“ schimpft unverhohlen: „Die Wende-Schnabel! Oberste deutsche Euro-Hüterin gibt (endlich) zu: Wir haben uns bei der Inflation verrechnet!“ Denn EZB-Direktorin Isabel Schnabel warnt nun doch vor steigender Teuerung. Also wird sie doch länger anhalten als bisher vorhergesagt? Es sieht tatsächlich so aus, als müssten unsere Währungshüter zurückrudern. Damit verbindet sich für Sie die Frage, geschätzte Anleger, wie lange die Diskussion über Geldwert, Geldpolitik und Zinsen die Finanzmärkte beschäftigen wird. Es bleibt ein Dauerthema, das die Börsen belasten kann, aber nicht muss – je nach Entwicklung der monetären Kriterien.
Stunden später eine passende Agenturmeldung: Der neue Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sieht die aktuell hohen Teuerungsraten mit Sorge und verspricht einen entschiedenen Einsatz für eine stabile Währung. Er sehe „derzeit eher die Gefahr, dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte als gegenwärtig erwartet“, sagte Nagel am Dienstag bei einer im Internet übertragenen Feier anlässlich der Amtsübernahme von Vorgänger Jens Weidmann laut Redetext. Der mittelfristige Preisausblick sei „außergewöhnlich unsicher“. Nagel betonte an die Adresse der Europäischen Zentralbank: „Bei aller Unsicherheit ist eines ganz klar: Wenn es die Preisstabilität erfordert, muss der EZB-Rat handeln und seinen geldpolitischen Kurs anpassen.“
Parallel ist zu lesen, dass EZB-Chefvolkswirt Philip Lane die Sorge vor einer länger anhaltenden hohen Inflation in der Euro-Zone dämpft. „Wir sehen kein Verhalten, das darauf hindeutet, dass die Inflation mittelfristig über unserem Ziel bleiben wird“, sagte Lane der italienischen Tageszeitung „Il Sole 24 Ore“. Die EZB hat nach Lanes Worten gewusst, dass es Ende 2021 eine Konzentration des Preisdrucks geben würde, insbesondere angesichts des starken Anstiegs der Energiepreise. Aber das Narrativ bleibt unverändert.
Die Inflation im Euro-Raum ist im Dezember überraschend auf ein erneutes Rekordhoch gestiegen. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich 5,0 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, angetrieben von teurer Energie. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Statistik 1997. Im November hatte die Teuerungsrate bei 4,9 Prozent gelegen. Sie liegt damit weit mehr als doppelt so hoch wie das Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Notenbank peilt mittelfristig eine Rate von 2,0 Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft an. Lane zufolge geht die EZB davon aus, dass die Inflation im Laufe dieses Jahres nachlassen wird. 2023 und 2024 soll sie sich dann unterhalb der Zielmarke von 2 Prozent stabilisieren.
Nichts ist klar, nichts sicher. Gehen Sie davon aus, liebe Leser, dass wir weder ein Ende noch das Ergebnis der Inflationsdiskussionen absehen können. Ich sehe allerdings keinen unmittelbaren Anlass, die Ihnen bekannten anlagestrategischen Vorschläge (Aktien & Gold als Kern eines Portfolios) zu ändern. „Der Himmel an den Finanzmärkten ist blau“ – diese optimistische Einstellung verbreitet auch Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management. Im Basisszenario sieht er grundsätzlich gute Bedingungen für Finanzanlagen. Jedoch könnte sich ein „Inflationssturm“ in der Ferne zusammenbrauen. Sollten die langfristigen Inflationserwartungen steigen, wären Zinsschritte der US-Notenbank und Europäischen Zentralbank erforderlich, die zu großen Verlusten an den Anleihe- und Aktienmärkten führen könnten …