Kommentar von Hermann Kutzer, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsblatt und “N-TV”
Kutzers Zwischenruf: Die Inflation steigt – der DAX auch
Energiepreise treiben Teuerung auf höchsten Stand seit 2011, melden heute früh die Agenturen. Zur gleichen Zeit robbt sich der Dax wieder an sein historisches Hoch heran. Der Optimist nennt das Gelassenheit. Die ist auch berechtigt. Aber: Gilt das auch morgen noch, d.h. für die kommenden Monate? Das weiß kein Mensch, aber ich bleibe bis auf weiteres cool und sehe keine Gefahr für die Aktienmärkte, zumal die Pandemie an Schrecken verliert und sich die Weltwirtschaft erholt.
Die Inflation hat bei uns mit 2,5 Prozent den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht. Und Deutschlands Verbraucher müssen sich in den kommenden Monaten auf weiter steigende Teuerungsraten einstellen, die nach Einschätzung von Volkswirten 3 bis 4 Prozent erreichen können. Zumindest vorübergehend. Im März hatte die Inflationsrate bei 1,7 Prozent gelegen, im April waren es dann schon 2,0 Prozent. Ohne Berücksichtigung der Energiepreise hätte die Inflationsrate nach Berechnungen der Wiesbadener Statistiker im Mai lediglich bei 1,8 Prozent gelegen, ohne Heizöl und Kraftstoffe sogar nur bei 1,6 Prozent.
Die aktuellen und die projizierten Zahlen sind keine wirklich gefährliche Inflation. Ärgerlich ist eher die oberflächliche (und damit inflationäre) Berichterstattung in den Medien. Denn die machen nicht hinreichend auf eine doppelte Meldung der monatlichen Teuerung aufmerksam und verstärken somit den Effekt beim Verbraucher. Die jetzt offiziellen Monatsergebnisse entsprechen exakt den vorläufigen Zahlen, die bereits am oder kurz vor dem Monatsende herausgegeben werden – und das ist praktisch immer so. Diesmal wurden die 2,5 Prozent von Wiesbaden erstmals am 31. Mai veröffentlicht. Wird das von der Presse unterschlagen, so kommt als Tenor jetzt „Erneuter Inflationssprung“ (oder ähnliches) heraus.
Für Börsenprofis ist die aktuelle Zahl ohnedies nicht kursrelevant, denn ihnen geht es ja stets um die Zukunft, die man gerne antizipieren möchte. Die seit Wochen intensivierte Fachdiskussion über die Inflationsaussichten hat mittlerweile die Sorgen über die Folgen für die Märkte abklingen lassen, weil neben dem Gewöhnungsfaktor registriert wurde, dass die Mehrheit der Experten weder einen nachhaltigen, noch einen dramatischen Anstieg der Teuerung befürchtet. Selbst die Notenbank-Chefs auf beiden Seiten des Atlantiks verbreiten Gelassenheit.
Solange das so bleibt, brauchen Aktienfans (im Gegensatz zu Anleiheinvestoren) nicht zu zittern. Denn ein weiterer mitentscheidender Grund für die robust-gute Börsenverfassung beruht auf der Erfahrung, dass Aktien sogar Schutz vor Inflation bieten, solange diese nicht durch die Decke schießt. Aufpassen müssen Aktionäre allerdings, ob es mit weiter steigenden Inflationsraten zu einer bösen Baisse am Rentenmarkt kommt, die dann die Börsenstimmung insgesamt belasten kann. Ansonsten stellen Sie sich immer wieder die Frage, geschätzte Anleger, ob Ihnen eine attraktivere Anlageklasse als Aktien in den Sinn kommt. Denn wenn ihm nicht die Luft ausgeht, wird er sich der Dax weiter nach oben hangeln.