Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Sind ETFs wirklich die sichere Anlageform, wie viele glauben? Der Artikel zeigt, warum die aktuelle Euphorie rund um ETFs auch Risiken birgt und welche Warnsignale Anleger kennen sollten.
Betrachtet man das Sentiment, also die Stimmung der Anleger, lassen sich grundsätzlich zwei Gruppen von Stimmungsindikatoren unterscheiden: Zum einen gibt es das Sentiment der dauerhaften Marktteilnehmer, wie Fondsmanager, Hedgefonds, Versicherungen, Pensionskassen und andere professionelle Anleger. Viele von ihnen handeln diskretionär, immer mehr jedoch auch computergestützt.
Deren Stimmung lässt sich zum Beispiel anhand der “Fund Manager Survey” der Bank of America ablesen, wo viele Fondsmanager nach ihren Investitionsquoten befragt werden. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Umfrage der “National Association of Active Investment Managers (NAAIM)“. Um die Stimmung systematisch agierender Anleger zu erfassen, eignen sich Indikatoren wie die Positionierung der CTAs aber auch der häufig zitierte Hulbert-Index, der Börsenbriefe auswertet, von denen viele im Wesentlichen trendfolgende Kauf- oder Verkaufssignale senden.
Zum anderen gibt es auch Privatanleger, die langfristig am Aktienmarkt aktiv sind. Auch deren Stimmung kann man an einigen Indikatoren gut ablesen, wie der „American Association of Individual Investors (AAII)“.
Von der guten Stimmung zur Milchmädchen-Hausse
Die genannten Stimmungsindikatoren für aktive Marktteilnehmer zeigen vor allem mögliche Korrekturen innerhalb eines übergeordneten Trends. Ist der Trend aufwärtsgerichtet, deuten sich Rückschläge an, ist er abwärtsgerichtet, signalisieren sie Aufwärtskorrekturen, die es immer wieder gibt.
Über die Stimmung der aktiven Marktteilnehmer hinaus existiert aber auch eine allgemeine Börsenstimmung in der Bevölkerung – bei Menschen, die etwas Geld zum Anlegen haben. Diese Stimmung wird durch andere Indikatoren gemessen und gibt Aufschluss darüber, ob ein mehrjähriger übergeordneter Aufschwung möglicherweise gefährlich weit fortgeschritten ist und wir das Stadium der Milchmädchen-Hausse – wie man es früher genannt hat – erreicht haben.
Ein Klassiker unter den Indikatoren, die eine solche breite Börseneuphorie anzeigen, ist der sogenannte “Bild-Zeitungs-Indikator”. Wenn die Bild-Zeitung das Thema Aktien auf dem Titel hat, sollte man sich langsam nach dem Ausgang umsehen, spricht sie von der großen Börsenpanik, ist das Tief oft erreicht. Für meine Generation war der Internetboom der 1990er Jahre bis ins Jahr 2000 hinein beispielhaft.
Nicht nur, dass die Börse und der damalige Neue Markt für Technologie-Aktien auf den Titelseiten präsent waren – es gab sogar Musterdepots für den Neuen Markt in der Bild-Zeitung. Für mich war das damals das Signal, meine Technologieaktien zu verkaufen. Drei Monate später begann eine dreijährige Abwärtsbewegung. Solche Indikatoren tauchen jedoch nur alle paar Jahre auf, wenn eine echte Börseneuphorie oder -panik die breite Bevölkerung erfasst. Ansonsten sind sie abwesend. Wenn überall über Börse und Aktien gesprochen wird und Tipps ausgetauscht werden, ist das ebenfalls ein klares Warnsignal. Interessiert sich hingegen niemand mehr für Börse, deutet es in die andere Richtung.
Gute Stimmung überall
Wenn wir auf die aktuelle Stimmung der dauerhaft aktiven Anleger blicken, sehen wir, dass sie mit der Korrektur, die im Juli begann und Anfang August ihren Höhepunkt fand, teilweise schon wieder stark eingetrübt war. Von echtem Pessimismus waren wir aber noch weit entfernt. Mit der Erholung hat sich die Stimmung wieder deutlich gebessert. So sind laut der Umfrage der AAII bereits über 50 Prozent der US-Privatanleger wieder bullisch eingestellt – ein historisch hoher Wert, der eher auf einen nächsten bevorstehenden Korrekturbedarf hinweist.
Doch wie sieht es mit der Aktienstimmung in der breiten Bevölkerung aus? Gibt es dort momentan Anzeichen für eine übertriebene Euphorie? Meiner Wahrnehmung nach: ja. Allerdings ist es nicht mehr die Bild-Zeitung, die darauf hinweist. Mit dem Wandel der Medienlandschaft haben sich auch die Kanäle verändert, die eine solche breite Euphorie zum Ausdruck bringen – insbesondere bei den jüngeren Generationen, den unter 40-jährigen.
Wenn ich sehe, wie viele sogenannte Finfluencer dort draußen für ETFs werben und wie Menschen, die vor fünf Jahren noch keinerlei Interesse an Aktien hatten, einem jetzt erklären, dass der MSCI-World-ETF eine “sichere” Anlage mit sieben Prozent Rendite pro Jahr sei, beschleicht mich das Gefühl, dass eine größere und vor allem längere Korrektur bald unvermeidlich ist. Der Konsens zugunsten solcher Anlagen ist einfach zu stark, um auf Dauer Bestand zu haben. Wenn alle in dieselbe Richtung marschieren, läuft es in der Regel anders als die Masse es erwartet – schlicht, weil die Mehrheit dann bereits investiert ist.
In den USA liegen beispielsweise inzwischen 39 Prozent der Aktien im Besitz von Privatanlegern, deren Aktienallokation am gesamten liquiden Vermögen erreicht einen historischen Höchststand von 40 Prozent. Es wäre also nicht überraschend, wenn die Dinge anders kommen als die vielen jungen, neuen ETF-Käufer es erwarten.