Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Deutschland hat in den Jahren der Regierung Merkel vieles verschlafen. Die langjährige Bundeskanzlerin hatte von ihrem Vorgänger Helmut Kohl gelernt, dass man, wenn es einem an Führungsstärke und Überzeugungskraft mangelt, die Dinge am besten stillschweigend aussitzt.
Tatsächlich hat sie nur einmal in ihrer Regierungszeit wirklich Flagge gezeigt, nämlich im Jahr 2015 mit dem Satz „Wir schaffen das“, als Millionen von Flüchtlingen über die Balkanroute zu uns kamen. Das fand ich bemerkenswert, dem Satz folgten aber keine Taten. Die Regierung hat viel zu wenig getan, um die zu uns geflüchteten Menschen zu integrieren. Das hätte bedeutet, sie nicht in Flüchtlingslagern unterzubringen, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft. Die Diskussionen darum waren Merkel aber offenbar zu lästig, so dass sie wieder ihren üblichen Opportunismus an den Tag legte.
Zu keinem Zeitpunkt wurde dieser deutlicher sichtbar als 2011. Damals havarierte das Atomkraftwerk in Fukushima. Weil die im Ausland so bezeichnete „German Angst“ vor dieser Energieform plötzlich weit verbreitet war, stieg Deutschland als einziges Land in Europa aus der Atomenergie aus. In unserer sehr erdbebensicheren Region war dies eine vollkommen irrationale Reaktion auf das Unglück in Japan. Es ging nur darum, die nächsten Landtagswahlen zu gewinnen. Die Grünen erlebten damals in den Meinungsumfragen einen wahren Höhenflug. Und wie wir wissen, beschäftigt uns der Atomausstieg bis heute.
Problem erkannt
Die jetzige Ampelregierung ist ein gutes Stück weiter als ihre Vorgängerin. Sie hat erkannt, dass wir dringenden Wandel benötigen. So zum Beispiel, dass wir dringend das Schienennetz ausbauen und sanieren müssen. Auch dass Deutschland bei der digitalen Infrastruktur hinterherhinkt, ist erkannt. Dass wir dringend Fachkräfte aus dem Ausland brauchen, um den Fachkräftemangel hier zu decken, ist auch erkannt. Dass es viel zu lange dauert, das alles zu erreichen und umzusetzen, ist erkannt. Und dass wir dringend etwas gegen den Klimawandel tun müssen, ist auch erkannt.
Und so gibt es auch diverse Gesetzesinitiativen. Es wird Geld für die Erneuerung der Infrastruktur bereitgestellt. Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse von Fachkräften und die Erteilung von Visa für diese sollen erleichtert werden. Genehmigungsverfahren sollen dringend verkürzt werden und dem Klimawandel wollen wir mit zahlreichen Maßnahmen begegnen, die unsere Wirtschaft und unser Land bis 2045 klimaneutral machen sollen. Das Heizungsgesetz ist ein zentraler Bestandteil dieser Initiativen.
Problem nicht gebannt
Das vor wenigen Tagen dann vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Gesetz zeigt aber auch sehr deutlich, dass Deutschland kein Erkenntnisproblem mehr hat, sondern ein massives Umsetzungsproblem. Nicht nur, dass das Heizungsgesetz mit seinen zu erwartenden Kosten von 120 Milliarden Euro viel zu wenig CO2 im Vergleich zu dem einspart, was man hätte einsparen können, wenn man die Atomkraftwerke hätte weiterlaufen lassen, es ist auch handwerklich vieles schief gelaufen.
Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es einem Abgeordneten nicht möglich ist, von Freitagmorgen bis zur Verabschiedung am darauffolgenden Montag 111 Seiten Änderungen im Gesetz durchzuarbeiten. Warum diese Eile, fragt man sich.
Ja, wir müssen schnell etwas gegen den Klimawandel tun, aber auf eine Woche kommt es wirklich nicht an. Dasselbe Gefühl beschleicht einen auch bei den anderen oben genannten Initiativen. Immer wieder melden sich die Bedenkenträger lautstark zu Wort und es wird ewig diskutiert und wieder diskutiert. Am Ende ist man wieder frustriert und verliert den Glauben an die Ernsthaftigkeit der Politik, die Probleme anzugehen. Die aktuellen Umfragen sprechen eine klare Sprache: Eine Partei, die im Grunde nichts anderes zu bieten hat, als ein Sammelbecken für Protestler zu sein, legt immer weiter zu. Ein echtes Programm für Deutschland? Fehlanzeige!
Die Verkürzung der Genehmigungsverfahren ist dringend notwendig, aber wenn es schon Jahre dauert, bis man sich entscheidet, das Genehmigungsverfahren zu verkürzen, dann ist das nur noch traurig. Das ist deshalb ein Problem, weil das Ausland nicht schläft, die Chinesen sowieso nicht, aber die USA auch nicht.
In der EU diskutiert man noch, auf der anderen Seite des Atlantiks wird handelt man schon: Der „Inflation Reduction Act“ ist ein Regierungsprogramm, das heimische Unternehmen, die den Wandel zur Klimaneutralität vorantreiben, massiv fördert. Die USA sind deshalb derzeit der Investitionsmagnet Nummer eins. Es werden reihenweise neue Fabriken gebaut, wie die Bauausgaben im verarbeitenden Gewerbe zeigen. Investoren sollten Deutschland zwar im Auge behalten, aber ihr Geld lieber überwiegend im dynamischeren Ausland investieren, bevor unsere Regierung nicht gezeigt hat, dass sie nicht nur erkennen, sondern auch umsetzen kann.