Gastkommentar von Raimund Brichta Börsenreporter n-tv
Der von Fachleuten herbeigeredete direkte Zusammenhang zwischen US-Rendite und Leitzinserwartungen greift mir viiiiiiiiel zu kurz. Hier die Begründung:
Es wird behauptet, wenn die US-Renditen fallen, seien Leitzinssenkungshoffnungen der Grund; wenn sie steigen, das Gegenteil, also nach hinten verschobene Leitzinssenkungshoffnungen.
Gerne wird das noch mit einer Portion Fachjargon garniert: Zinshoffnungen würden am Anleihemarkt eben „ein- oder ausgepreist“. Für zuhörende Laien mag das ganz plausibel klingen, es stimmt in dieser apodiktischen Form aber nicht.
Denn die Anleiherenditen sind von einer Reihe weiterer wichtiger Faktoren abhängig:
➡️ Wieviel Schulden nimmt der Staat auf, wie viele Anleihen muss er also verkaufen?
➡️ Wer tritt als Käufer von Staatsanleihen auf und in welchem Umfang? Die Fed, China, Japan etc. …
➡️ Wer baut auf der anderen Seite seine Anleihebestände ab? Die Fed, China, Japan etc. …
➡️ Und ganz wichtig: Die Spekulation mit den genannten Faktoren. Gerade am hocheffizienten Finanzmarkt für US-Treasurys, auf dem sich die großen Player schnell long und short positionieren können, hat dies eine immense Bedeutung.
Der eingangs genannte simplifizierte Zusammenhang führt also in die Irre. Es gibt sogar Phasen, in denen sich Renditen und Leitzins gänzlich entkoppeln. Der Zeitraum 2003-2007 ist ein Beispiel dafür:
👉 Da sind die Leitzinsen gestiegen, die Renditen aber gefallen.
💡Fazit: Da Washington weiter fleißig Schulden macht (egal ob mit Biden oder Trump im Weißen Haus), der Anleihe-Appetit Chinas, Japans und anderer Nachfrager aber deutlich abnimmt, kann nur die Fed einen weiteren Renditeansieg verhindern oder umkehren. Dies aber nicht, indem die Fed Leitzinshoffnungen schürt, sondern indem sie Staatsanleihen kauft. 💡
➡️ Nach meiner Erwartung wird sie das langfristig auch tun. Der Fed-Beschluss vom 1. Mai dürfte ein erster Schritt in diese Richtung gewesen sein. Stay tuned!