Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Das nun zu Ende gehende Börsenjahr hat wohl so viele überrascht wie selten zuvor. Für die 24 Jahre zuvor hatten von Bloomberg befragte Analysten noch nie Verluste für den US-Aktienmarkt vorausgesagt, für 2023 war es dann aber so weit. Das erklärt sich auch damit, dass diese Analysten Berufsoptimisten sind. Meistens arbeiten Sie ja für Broker und Investmentbanken und deren Geschäft läuft einfach besser, wenn die Kurse steigen, ganz nach dem Motto: Steigt die Börse, kommt das Publikum. Fällt die Börse, geht das Publikum. Doch für 2023 waren die Voraussetzungen aus Sicht der Auguren offenbar so schlecht, dass sie sich eine negative Prognose nicht verkneifen konnten.
Die Wirtschaftsprognosen waren negativ und es standen weitere Zinserhöhungen durch die Zentralbanken auf dem Plan, weil die Inflationsraten nach wie vor deutlich zu hoch waren. Hinzu kam das Abschmelzen der Notenbankbilanzen durch den Verkauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren, also das Gegenteil dessen, was die Notenbanken während der Corona-Krise zur Unterstützung an Liquidität in den Markt gepumpt hatten. Dieser Cocktail konnte eigentlich nur zu fallenden Kursen führen. Weil aber offenkundig alle Anleger dies in ihren Engagements dementsprechend berücksichtigt hatten, kam es dann zum Jahresanfang zur genau gegenteiligen Entwicklung. Und selbst wenn das Börsenjahr noch nicht ganz rum ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit geht 2023 als ein gutes Börsenjahr in die Geschichte ein.
Pessimisten trieben die Kurse
Dabei wurden die Kurse nicht von einem Meinungsumschwung getrieben, veranlasst etwa durch eine unerwartet gute wirtschaftliche Entwicklung oder weniger restriktive Geldpolitik als erwartet. Im Großen und Ganzen trat alles schon so ein wie erwartet. Gut, der US-Wirtschaft blieb eine Rezession zunächst erspart, dafür war die Erholung in China nach dem Beenden der Corona-Maßnahmen deutlich geringer als erwartet.
Der Aktienaufschwung wurde in diesem Jahr eher von einem Short Squeeze nach dem anderen getragen. Eben weil die Lage so offenkundig negativ aussah, hatten beispielsweise Hedgefonds immer wieder in hohem Maße auf fallende Kurse gesetzt. Als es dann nicht dazu kam, mussten sie zur Verlustbegrenzung die leer verkauften Aktien wieder zurückkaufen und trieben die Kurse damit weiter an. Das ließ sich immer daran gut ablesen, dass die am stärksten short verkauften Aktien in den Aufwärtsbewegungen wie auch der jüngsten ab Anfang November deutlich stärker stiegen als der gesamte Markt.
Wie wird 2024?
Was ist nun für 2024 zu erwarten? Kommt es wieder zu einer Überraschung? Dann müssten die Kurse 2024 fallen, denn mittlerweile hat sich das Bild gedreht. Die Anleger blicken auf das kommende Jahr durchaus positiv. Deutlich wird dies in vielen Kommentaren, aber auch an den Rekordumsätzen für Kaufoptionen auf den breit gefassten Russell 2000 Index in den USA wie auch der Positionierung der global agierenden Systemhändler. Da wir uns in einem starken Aufwärtstrend befinden, sind diese mittlerweile auf Rekordniveau bullisch positioniert. Auch die Analysten, die das Handelsblatt zum Jahreswechsel immer um eine Prognose für das kommende Jahresende bittet, zeigen sich überwiegend optimistisch für den DAX.
Und nicht zuletzt haben die internationalen Aktienfondsmanager, die monatlich von der Bank of America befragt werden, ihre Cash-Reserven auf jetzt 4,5 Prozent weiter gesenkt. Ihr Optimismus rührt daher, dass sich die Aussichten wirtschaftlich zwar nicht unbedingt gebessert haben – noch immer deuten viele Indikatoren auf eine Rezession in den USA hin und in Europa sowieso – geldpolitisch aber mit einer Entspannung gerechnet wird. Dies ist umso mehr der Fall, seitdem US-Notenbankchef Jerome Powell auf der letzten Sitzung der Federal Reserve (Fed) für kommendes Jahr Zinssenkungen angedeutet hat. Die zudem deutlich sinkenden Inflationsraten tun ihr Übriges, um diese Phantasie anzukurbeln. Doch wieder scheinen Anleger diesen positiven Aspekt bereits vorweggenommen zu haben, sichtbar in den zuletzt stark gestiegenen Kursen.
Die wirtschaftliche Unsicherheit bleibt aber und auch die der kommenden US-Wahl. Der wahrscheinlichste Kandidat für die Republikaner, Donald Trump, ist ein großer Unsicherheitsfaktor. Dies zusammen mit einer möglichen Rezession in den USA könnte dann auch schnell der Cocktail für fallende Kurse werden, zumal Zinssenkungen erst mit Zeitverzögerung sowohl auf die Wirtschaft als auch auf die Aktienbörse wirken. D.h., eigentlich müssten die Kurse erst mal die gestiegenen Zinsen verarbeiten, bevor in der Zukunft fallende dann irgendwann ihre Wirkung entfalten. Aus stimmungstechnischer Sicht ist also diesmal Vorsicht geboten. Es würde daher nicht wundern, wenn 2024 überraschend enttäuschend ausfällt.