Gastkommentar von Stefan Riße, Finanzanalyst und Börsenkorrespondent für “N-TV”
Die US-Inflation geht wieder zurück. Von 8,5 auf aktuell 8,3 Prozent. Weil der Markt aber 8,1 Prozent erwartet hatte, gab es einen Abverkauf bei Aktien, wie wir ihn lange nicht gesehen haben. Besonders groß fielen die Verluste an der Technologiebörse Nasdaq aus. Sie verloren mehr als die Standardwerte. Die Logik, die dahintersteckt, ist einfach. Technologieunternehmen sind nach klassischer Deutung meistens Wachstumswerte. Bei diesen bezahlt der Investor schon heute zu einem großen Teil das Wachstum und die Gewinne von morgen. Diese müssen dementsprechend abgezinst werden. Denn im Vergleich zu einer Anlage in Cash ist so ein Investment nur dann lohnend, wenn nach beispielsweise zehn Jahren mehr herauskommt, als wenn man in der gleichen Zeit sein Geld zu einem sicheren Festzins angelegt hätte. Steigt nun der Zins, erhöht sich der Abzinsungsfaktor. Allein durch diesen Umstand sinkt der innere Wert des Unternehmens. Fundamental muss sich gar nichts ändern.
Abzinsungsfaktor wird überbewertet
An die Effizienzmarkttheorie, die davon ausgeht, dass die Märkte den fairen Wert von Wertpapieren, Devisen und Rohstoffen widerspiegeln, habe ich nie geglaubt. Der Markt irrt oft und er tut es auch in Bezug auf die Abzinsung zukünftiger Gewinne. Der Faktor wird maßlos überschätzt. Keiner scheint wirklich nachzurechnen, wieviel es ausmacht. Nimmt man beispielsweise an, ein Unternehmen würde jedes Jahr zehn Dollar pro Aktie verdienen, und das über die kommenden zehn Jahre. Weitere Vermögenswerte hat es nicht. Und man ginge davon aus, dass das Unternehmen im schlechtesten Fall noch zehn Jahre existiert. Dann betrüge der innere Wert des Unternehmens seine Gewinne der nächsten zehn Jahre, also 100 Dollar. Nun muss man diesen Wert noch mit dem aktuellen Zinssatz abzinsen. Läge dieser bei fünf Prozent, würde sich der innere Wert auf 77,21 Dollar reduzieren. Stiege nun der Abzinsungsfaktor auf sechs Prozent, dann wäre der innere Wert nur noch 73,59 Dollar. Nicht schön, aber am Ende eben nur fünf Prozent Unterschied. Die Rechnung ist natürlich stark vereinfacht, weil keine Gewinnsteigerungen angenommen werden, aber die Größenordnungen werden deutlich.
Viel wichtiger hingegen ist der Zinsanstieg in Bezug auf die Verschuldung von Unternehmen. Denn müssen sie diese zu gestiegenen Zinsen refinanzieren, kann es plötzlich sehr teuer werden. Die Deutsche Telekom beispielsweise hat nach neuesten Zahlen die Summe von 146 Milliarden Euro Schulden ausstehen. Vor allem hoch verschuldete Unternehmen, die zu den niedrigen Zinsen kaum genug Erträge erwirtschaften konnten, um ihren Zinsdienst aus dem Cashflow zu erwirtschaften, werden Probleme bekommen. Und auch Unternehmen, die einen permanenten Kapitalbedarf haben, um ihr Geschäft fortzuführen, sind betroffen. Diese Unternehmen finden wir aber eher in den alten Industrien, die derzeit weniger leiden.
„Capital-Light-Unternehmen“ sind im Vorteil
Die Technologiewerte und unter ihnen auch die bekannten großen wie Alphabet, Apple, Microsoft, Meta etc., die derzeit stärker unter Druck stehen als klassische Werte, werden insofern zu Unrecht abgestraft. Sie sind so genannte „Capital-Light-Unternehmen“, weil sie wenig Kapital brauchen, um ihr Geschäft fortzuführen. Deshalb sitzen sie auch auf hohen Cash-Reserven und kaufen ständig eigene Aktien zurück. Ein Zinsanstieg muss sie nicht weiter beschäftigen, weil sie meistens keine Verschuldung haben, zumindest netto nicht und auch keinen hohen Kapitalbedarf. Der Markt spielt aber derzeit das andere Paradigma. Doch auch wenn Märkte sich irren, längerfristig korrigieren sie ihren Irrtum immer, weil betriebswirtschaftliche Realitäten sich irgendwann quasi gesetzmäßig durchsetzen. Darauf können Anleger, die weiter auf Unternehmen mit zukunftsträchtiger Technologie setzen, gelassen warten. Allerdings müssen die Unternehmen tatsächlich irgendwann und am besten schon heute oder in näherer Zukunft kalkulierbare Gewinne erwirtschaften. Die 2021 noch mit Milliarden bewerteten Geschäftsmodelle ohne entsprechende Umsätze werden in der neuen Börsen-Realität, in der Überschuss-Liquidität nicht mehr vorhanden ist, nicht wieder nach oben gespült. Tech ist nicht gleich Tech!