Alles wird gut – auch für die Anleger!
Gastkommentar von Hermann Kutzer, Finanzjournalist, ehem. Börsenkorrespondent für das Handelsbaltt und “n-tv”
Achtung! Der heutige Zwischenruf ist eine Illusion. Sie kennen ja meine zunehmende Skepsis, mein Misstrauen gegenüber der aktuellen, zeitweise euphorischen Börsenstimmung – obwohl ich als hartnäckiger Optimist langfristig im Bullenlager verharre.
Die Meinungen und Prognosen der professionellen Anlagestrategen gehen noch weit auseinander. Sie, geschätzte Anleger, sollten Strategie und Taktik selbst entscheiden. Deshalb meine (ungewöhnliche) Idee, heute einmal eine perspektivische Skizze zu zeichnen, die sich ausschließlich aus positiven Elementen zusammensetzt. Ganz bewusst wird also eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit beschrieben.
Alles wird gut – Voraussetzung dafür ist in diesem Jahr die Überwindung der Pandemie ohne eine weitere massive Infektionswelle.
Das kann gelingen, weil Wissenschaftler und Pharmaunternehmen in aller Welt mit großem Engagement nach Impfstoffen und Medikamenten forschen. Dies vollzieht sich in Konkurrenz, aber auch gemeinsam und Landesgrenzen übergreifend. Außerdem werden Virologen und Mediziner international von der Politik unterstützt. Somit ist zu erwarten, dass nach den jüngsten Signalen bald weitere Fortschritte in Diagnose und Therapie erzielt werden.
Das trägt nicht nur zur Rückkehr der Bürger in den gewohnten Alltag bei, sondern beschleunigt das Wiederhochfahren der Wirtschaft. Damit dürfte das tiefe Konjunkturtal schon bis zum Sommer durchlaufen werden. Im zweiten Halbjahr kann die Erholung von der Rezession beginnen und sich 2021 verstärken. Das bedeutet eine merkliche Korrektur der Gewinnschätzungen – dann nach oben! – beginnend in der Berichtssaison fürs dritte Quartal. Selbstverständlich gilt das nicht zeitgleich und gleichermaßen für alle Unternehmen.
Parallel ist von einer Entspannung an den global wichtigsten politischen Fronten auszugehen. Donald J. Trump wird im November (trotz aktueller Zweifel) wiedergewählt und begreift schon vorher, dass er für „America first“ auch möglichst harmonische Beziehungen zu seinen Partnern in Europa und Asien braucht. Zwar bleibt es bei der wirtschafts- und machtpolitischen Konkurrenz mit China, im bilateralen Interesse aber zunehmend kompromissbereit.
Ein dritter Schwerpunkt des Optimismus liegt in der Finanzierung. Denn die von Staaten und Notenbanken bereits mobilisierten Milliarden- und Billionen-Pakete sind beispiellos und werden mitentscheidend zum absehbaren Wiederaufschwung der Volkswirtschaften beitragen. Zwar bleiben die Sorgen wegen der enormen internationalen Verschuldung.
Auch werden einige Länder dadurch ins Schlingern kommen. Doch sind die Probleme im Zuge einer intensivierten Kooperation der Industrie- und Schwellenländer lösbar.
Was heißt das für die Finanzmärkte? Die Liquiditätsversorgung bleibt langfristig extrem hoch, das Zinsniveau (soweit man überhaupt noch von Verzinsung sprechen kann) extrem niedrig. Es droht weder Inflation noch Deflation. Damit bleiben Sachwertinvestments ohne Konkurrenz – also in erster Linie Aktien als Beteiligungen am Produktivkapital der Wirtschaft, Rohstoffe (einschließlich Edelmetalle) und Immobilien. Mutige Optimisten werden durch die aktuellen Kurse nicht abgeschreckt, sondern bauen ihre Positionen (unter kurzfristigen Gewinnmitnahmen) weiter auf, denn: Dow und Dax sollten spätestens bis Frühjahr 2021 neue historische Gipfel erreicht haben.
Klingt doch gut, oder?
Vergessen Sie aber nicht, geschätzte Anleger: Dies ist nur eine Illusion, ein Gedankenspiel.